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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Gurlitt, Cornelius: Neueste Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0047

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Neueste Kunst.

aufgäbe für sich macht, also dadurch seinen
solideren „Beruf" verfehlt, indem er nicht eben-
falls Bäcker oder Referendar wird, — den nennt
der ehrenwerte Vater in scharfer Zurechtwei-
SUnß „verrückt". Wie viele Künstler haben
y0n solchen Vätern zu erzählen gehabt! Und
die Väter hatten recht, es war im ganzen Le-
bensziel der Söhne etwas aus dem von den
Vätern als verständig erkannten Gleise ver-
rückt worden; und je entschiedener, eigenwil-
liger der junge Mann auf seinem Wege verharrte,
desto stärker wirkte er später als Umbildner
der Kunstanschauungen seiner Zeit, um so stär-
ker verschob, verrückte er diese.

Aber diesen Starken folgt zumeist die große
Zahl der Mitläufer, das heißt jener, die den
überzeugten Führern die Schaffensart abgucken,
in dem Wunsche, sie nicht nur nachzuahmen,
sondern auch zu überbieten. Und da kamen
denn in den Zeiten des Jugendstiles ebenso
viele gequälte Sonderbarkeiten heraus, wie
heute in der Nachahmung der wenigen Berufenen.
Da gibts Leute genug, die eben mitmachen, nicht
weil innere Gewalten sie antreiben, sondern
weil es eben alle tun, weil sie zu der Ansicht

kamen, mit der alten Kunst käme man nicht
weiter, man müsse auf neuem Wege zu wandern
versuchen. Viel ehrliches Talent, das nicht auf
selbstherrliche Schaffenskraft gestellt ist, wird
dabei zerstört, verliert seinen Eigenwert unter
dem Druck des Herdengeistes.

Aber noch ist keine „Richtung" über die
Weltbühne gegangen, die nicht ihre Spuren für
die Folgezeit hinterließ. Der Jugendstil brachte
uns den Sieg über die Stilkunst, über das
Streben nach Stilechtheit. Er gab unserer
Architektur und unserem Kunstgewerbe die
Freiheit wieder, zeitgemäß zu werden, die
Fähigkeit der Stile der Vergangenheit besser zu
verstehen, indem wir sie als Ausdruck ihrer
Zeit würdigen und uns bewußt werden, daß
wir einen Stil unserer Zeit schaffen müssen,
jenen Stil, dessen Dasein die Altgläubigen so
lange leugneten und dessen Kommen sie mit
allen erdenklichen Mitteln bekämpften aus
ehrlicher Überzeugung, daß ein neuer Stil un-
möglich sei. Nun ist er da, aber er gefällt
ihnen nicht. Es ist nicht ihr Idealismus, den
dieser forderte, daß der Künstler sich im
Geiste ein Bild des von ihm zu Schaffenden

F. SALVENDY—WIEN. »KNABEN-BILDNIS«
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