Kulturelles Losungswort.
dentrieb) wie zu wahllosem Widerspruch (Indi-
vidualismus): Entwurzelung des Subjektes, Trü-
bung des Selbstgefühls in beiden Fällen.
Zu oft, zu lange hat die deutsche Mentalität
zwischen diesen beiden Polen geschwankt und
so unter anderem auch Vieles zur Trübung des
Bildes beigetragen, das Fremde sich von uns
zu machen strebten. Auf der einen Seite die
wenig entwickelte Sicherheit und Unschuld des
Individuums, ausgeprägt in dem unwürdigen
Stolz auf die Zugehörigkeit zu engeren Verbän-
den, in der Überschätzung der äußeren Organi-
sation, gepaart mit einer fast lächerlichen Orga-
nisierbarkeit, schließlich in dem mangelnden
Gefühl für Abgrenzung der eigenen und der
fremden Rechtssphäre. Auf der anderen Seite
jener ungepflegte Individualismus, der aus Un-
terschätzung des eigenen Ichs so unziemlichen
Wert darauf legt, zu nützlichen Konventionen
in Gegensatz zu treten, der manche deutsche
Traditionsbildung unterbrochen hat und der
zweifellos unser gesellschaftliches Leben ge-
hindert hat, reife, restlos durchgebildete und
angenehme Formen zu entwickeln.
Losungswort für uns ist nicht Kultur im Sinne
einer noch weiteren Entfernung von der Natur,
sondern größere Milde gegen das Element,
größere Liberalität gegen den Takt und Gesang
in uns selbst, also gegen jenes inwendige carmen,
das sprachlich nicht umsonst in „charme" über-
ging: „Schmilz hin, mein Leben, sei Musik!"
Den von asiatischer Triebgewalt gefährdeten
Griechen wölbte ihr Grenzgott Zeus einen
festen Himmel der Sophrosyne über das Haupt.
Für uns, schrieb Hölderlin, „die wir unter dem
eigentlicheren Zeus stehen", der den „ewig
menschenfeindlichen Naturgang entschiedener
zur Erde zwinget", tut das Gegenteil der So-
phrosyne not, das Auflodern in „schöner Lei-
denschaft", damit wir uns nicht „aus lauter
lieber Ordnung und Sicherheit zum Schnecken-
leben organisieren"........wilhelm michkl.
professor bruno paul. »messingleuchter im herrenzimmer«
dentrieb) wie zu wahllosem Widerspruch (Indi-
vidualismus): Entwurzelung des Subjektes, Trü-
bung des Selbstgefühls in beiden Fällen.
Zu oft, zu lange hat die deutsche Mentalität
zwischen diesen beiden Polen geschwankt und
so unter anderem auch Vieles zur Trübung des
Bildes beigetragen, das Fremde sich von uns
zu machen strebten. Auf der einen Seite die
wenig entwickelte Sicherheit und Unschuld des
Individuums, ausgeprägt in dem unwürdigen
Stolz auf die Zugehörigkeit zu engeren Verbän-
den, in der Überschätzung der äußeren Organi-
sation, gepaart mit einer fast lächerlichen Orga-
nisierbarkeit, schließlich in dem mangelnden
Gefühl für Abgrenzung der eigenen und der
fremden Rechtssphäre. Auf der anderen Seite
jener ungepflegte Individualismus, der aus Un-
terschätzung des eigenen Ichs so unziemlichen
Wert darauf legt, zu nützlichen Konventionen
in Gegensatz zu treten, der manche deutsche
Traditionsbildung unterbrochen hat und der
zweifellos unser gesellschaftliches Leben ge-
hindert hat, reife, restlos durchgebildete und
angenehme Formen zu entwickeln.
Losungswort für uns ist nicht Kultur im Sinne
einer noch weiteren Entfernung von der Natur,
sondern größere Milde gegen das Element,
größere Liberalität gegen den Takt und Gesang
in uns selbst, also gegen jenes inwendige carmen,
das sprachlich nicht umsonst in „charme" über-
ging: „Schmilz hin, mein Leben, sei Musik!"
Den von asiatischer Triebgewalt gefährdeten
Griechen wölbte ihr Grenzgott Zeus einen
festen Himmel der Sophrosyne über das Haupt.
Für uns, schrieb Hölderlin, „die wir unter dem
eigentlicheren Zeus stehen", der den „ewig
menschenfeindlichen Naturgang entschiedener
zur Erde zwinget", tut das Gegenteil der So-
phrosyne not, das Auflodern in „schöner Lei-
denschaft", damit wir uns nicht „aus lauter
lieber Ordnung und Sicherheit zum Schnecken-
leben organisieren"........wilhelm michkl.
professor bruno paul. »messingleuchter im herrenzimmer«