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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Michel, Wilhelm: Etappen einer Überwindung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0209

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ETAPPEN EINER ÜBERWINDUNG.

Die Auseinandersetzung des deutschen
Geistes mit dem antiken Kunst-
ideal, jahrhundertelang hingedehnt, drängt
ihie wesentlichen Etappen in kürzestem Zeit-
raum zusammen: Von Winckelmann bis
Hölderlin durchläuft sie, riesenhaft ausschrei-
tend, den Abstand von bedingungsloser Hin-
gabe an das antike Vorbild bis zu seiner voll-
kommenen Ablehnung. Als Zwischenglied zwi-
schen beiden kann Beliebiges eingeschaltet
werden: Goethe, Hamann, Herder. Ich wähle
Heinse als einen, der Winckelmann und Höl-
derlin gleichmäßig nahesteht im Grundgefühl
des Lebens, in vielen Voraussetzungen seiner
geistigen Struktur. In ihm bricht die Beziehung
des Deutschtums zur Antike mitten auseinander.

Winckelmann rafft die Jahrhunderte seit
der Renaissance mächtig zusammen. Er steigt
auf zum Begriff der objektivierten Idee: das
Kunstwerk als Herausstellung eines objektiv
Schönen. Die zeitliche Bedingtheit dieser starr
dogmatischen Anschauung, ihre Erklärbarkeit
aus der Gegenwirkung gegen das Verspielte der

Barockkunst lasse ich außer Betracht. Er stehe
hier als Verfechter des marmornen Gedankens,
daß die Kunst eine Schönheit suche, die ob-
jektiv bestimmbar ist, nämlich den schönen
Menschen, und daß die antike Plastik dieses
Schöne restlos und für alle Zeiten erschöpfend
verwirkliebt habe. Daraus die rücksichtslose
Konsequenz auf die Nachahmung der An-
tike: „Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn
es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist
die Nachahmung der Alten"; oder an anderer
Stelle: „Die Kenner und Nachahmer der grie-
chischen Werke finden in ihren Meisterstücken
nicht allein die schönste Natur, sondern noch
mehr als Natur, das ist, gewisse idealische Schön-
heiten derselben, die, wie uns ein alter Aus-
leger des Plato lehrt, von Bildern, bloß im Ver-
stände entworfen, gemacht sind"; und weiter:
„Nichts würde den Vorzug der Nachahmung
der Alten vor der Nachahmung der Natur deut-
licher zeigen können, als wenn man zwei junge
Leute nähme von gleich schönem Talente, und
den einen das Altertum, den andern die bloße
 
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