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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Michel, Wilhelm: Etappen einer Überwindung
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0213

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Etappen einer Überwindung.

■ ländisch, modern und genetisch: „Der größte
Verderb, meiner Meynung nach, ist das vor-
eilige Gestör an den Antiken, welches hier (in

■ Düsseldorf) noch mehr Schaden verursacht, als
das Geleier unserer Buben auf Schulen über

■ den nimmer satt gedollmetschten Horatius ..."

So bricht mitten in diesem Geiste die Winckel-
\ mannische Linie ab. Es kommt in Hölderlin
zur ersten Überwindung des antiken Ideals
durch den deutschen Geist. Eine Überwindung,
die so von innen heraus geschieht, die so
sehr vom griechischen Ideal selbst ausgeht, daß

■ sie auch wirklich das Entscheidende leistet,
nicht eine bloße negative Abgrenzung.

Hölderlin fand jenes Wunschbild der Antike

■ vor, das Winckelmann den Deutschen neu um-
rissen hatte. Er geht aus von widerstandsloser
Hingabe an das antike Ideal. Sein Verhältnis

■ zu seiner eigenen Zeit, Kunst und nationalen
a Bedingtheit stand durchaus im Schatten der

Bewunderung für die „ schreckhafte Herrlichkeit

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XXII. Juli 1919, 5

des Altertums". Weil er sich aber an dieses
Wunschbild tiefer, hemmungsloser, gefährlicher
als andere verlor, empfand er auch klarer und
bälder seine inneren Brüche. Das Tiefste in
ihm, sein Dichtertum, entriß ihn dem roman-
tischen Sehnen nach Unwiederbringlichem.
Wollte er Dichter sein, Sänger im griechisch-
pindarischen Sinne, dann mußte er in seinem
Volke wurzeln und seiner Zeit dienen. Damit
war das antike Ideal im Sinne eines buchstäb-
lichen Vorbildes als unvereinbar mit modernem
Sängerberuf erwiesen. Im Zusammenhange
damit sah sich Hölderlin hingelenkt auf die
uns fremden, eigengesetzlichen Bedingtheiten
griechischer Kultur und Kunst. Er stieß als
Erster, lange vor Nietzsche, auf die orientalische
Wurzel des Griechentums. Weil er mit dem
antiken Ideal Ernst zu machen suchte, sah er
genetische Bedingtheit, wo andere nur finale
Herrlichkeit der Form sahen. So ist dieser ath-
letische Geist zum Schlüsse dem antiken Mor-
 
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