DOI Artikel:
Wagenführ, Max: Architektonische Entwürfe von L. Hilberseimer
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0223
ARCHITEKT L. HILBERSEIMER. ENTWURF ZU EINEM LANDHAUS.
ARCHITEKTONISCHE ENTWÜRFE VON L. HILBERSEIMER.
Stil ist der Niederschlag des Zeitgeistes,
Form ist sichtbar gemachtes Gesetz. Stil
ist Form, mithin auch Ausdruck eines Gesetz-
mäßigen. Folgt der Zeitgeist bestimmbaren
Gesetzen? Zweifellos gelten für ihn das Gesetz
der Kausalität, das Entwickelungsprinzip und
alle zwingenden Gesetze der
Natur. Die Resultante aller
Kräfte des Geisteslebens einer
Epoche, eines Volkes ist etwas
Gesetzmäßiges, das in der
gemeinsamen Stilform von
Kunstschöpfungen seinen Aus-
druck findet. — Diese Resul-
tante zu ziehen bedarf es
eines gewissen Abstandes.
Keiner der Zeitgenossen hat
ihn, der Kritiker und Denker
müht sich mehr oder weniger
vergeblich den Stil unserer
Zeit thesenhaft zu bestimmen.
Auch der Künstler, wenn er
redet, haut vorbei. Aber wenn
er bildet, wird intuitiv in ihm
die Resultante wirkend, und
aus der Synthese der Kunst-
werke einer Zeit, eines Volks-
stammes kommen wir zur Er-
kenntnis der automatisch zur ERDGESCHOSS
OBeRGeSCHOSi
einheitlichen Wirkung gebrachten Kräfte des
Zeitgeistes, zur Analyse unserer Kultur.
Nach dieser Einführung wird man vom Ver-
fasser nicht erwarten, daß er aus den vorlie-
genden Entwürfen eines jungen Architekten
den neuen Stil unserer Zeit abzuleiten versucht.
Man kann nur charakteristi-
schen Äußerungen nachspüren
und sie in Beziehungen setzen
zu dem, was gärend und drän-
gend in uns lebt und nach
sichtbarem Ausdruck, nach
Auswirkung verlangt. — Zwei
Seiten zeigt der Zeitgeist von
heute, die viel umstrittene
„Mentalität" des deutschen
Volkes. Die Kehrseite steht
vorn, der Wahnsinn, und die
richtige Seite hinten, die Ver-
nunft. Diese Umdrehung nennt
man Revolution. Da man
wohl nicht dauernd rückwärts
schreitet, ist anzunehmen, daß
die Vernunft wieder voran-
gehen wird, und daß der Bol-
schewismus der Kunst auch
wieder der richtigen Fortbil-
dung der Tradition Platz ma-
chen wird. Hilberseimers Ar-
XXII. Juli 1919- •
ARCHITEKTONISCHE ENTWÜRFE VON L. HILBERSEIMER.
Stil ist der Niederschlag des Zeitgeistes,
Form ist sichtbar gemachtes Gesetz. Stil
ist Form, mithin auch Ausdruck eines Gesetz-
mäßigen. Folgt der Zeitgeist bestimmbaren
Gesetzen? Zweifellos gelten für ihn das Gesetz
der Kausalität, das Entwickelungsprinzip und
alle zwingenden Gesetze der
Natur. Die Resultante aller
Kräfte des Geisteslebens einer
Epoche, eines Volkes ist etwas
Gesetzmäßiges, das in der
gemeinsamen Stilform von
Kunstschöpfungen seinen Aus-
druck findet. — Diese Resul-
tante zu ziehen bedarf es
eines gewissen Abstandes.
Keiner der Zeitgenossen hat
ihn, der Kritiker und Denker
müht sich mehr oder weniger
vergeblich den Stil unserer
Zeit thesenhaft zu bestimmen.
Auch der Künstler, wenn er
redet, haut vorbei. Aber wenn
er bildet, wird intuitiv in ihm
die Resultante wirkend, und
aus der Synthese der Kunst-
werke einer Zeit, eines Volks-
stammes kommen wir zur Er-
kenntnis der automatisch zur ERDGESCHOSS
OBeRGeSCHOSi
einheitlichen Wirkung gebrachten Kräfte des
Zeitgeistes, zur Analyse unserer Kultur.
Nach dieser Einführung wird man vom Ver-
fasser nicht erwarten, daß er aus den vorlie-
genden Entwürfen eines jungen Architekten
den neuen Stil unserer Zeit abzuleiten versucht.
Man kann nur charakteristi-
schen Äußerungen nachspüren
und sie in Beziehungen setzen
zu dem, was gärend und drän-
gend in uns lebt und nach
sichtbarem Ausdruck, nach
Auswirkung verlangt. — Zwei
Seiten zeigt der Zeitgeist von
heute, die viel umstrittene
„Mentalität" des deutschen
Volkes. Die Kehrseite steht
vorn, der Wahnsinn, und die
richtige Seite hinten, die Ver-
nunft. Diese Umdrehung nennt
man Revolution. Da man
wohl nicht dauernd rückwärts
schreitet, ist anzunehmen, daß
die Vernunft wieder voran-
gehen wird, und daß der Bol-
schewismus der Kunst auch
wieder der richtigen Fortbil-
dung der Tradition Platz ma-
chen wird. Hilberseimers Ar-
XXII. Juli 1919- •