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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Roessler, Arthur: In memoriam Egon Schiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0244

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In memonam Egon Schiele.

EGON SCHIELE t—WIEN.

GEMÄLDE »SOMMER-LANDSCHAFT c

in Tulln an der Donau als Sohn eines Eisen-
bahnbeamten geboren wurde, dessen Großvater
der seinerzeitige Bürgermeister von Bernburg
im Herzogtum Anhalt, Justizrat Friedrich Karl
Schiele war. Man weiß, daß sich seine Ent-
wicklung, bis zu den Mittelschuljahren, von
der anderer Knaben in ähnlichen Verhältnissen
durch nichts als eine besonders stille Verhalten-
heit unterschieden hat. Man weiß, daß er, in
die „schier endlos und tot scheinenden" Städte
versetzt, den Verlust der freien Ländschaft be-
trauerte und seine Lehrer als Feinde empfand.
Man weiß, daß er, zum Jüngling herangewach-
sen, ohne Beschäftigungswechsel, ohne Umweg,
ohne jemals zu schwanken oder auch nur zu
zaudern — das Maultier sucht im Nebel seinen
Weg — beharrlich kraftvoll der Künstlerschaft
als Maler zustrebte. Man weiß, daß er, für ein
Wunderkind ausgerufen, in sehr jungen Jahren
an die Kunstakademie in Wien kam und dort
als „zukunftsreichesTalent" so lange gehätschelt
wurde, bis er sich als unverbesserlicher unaka-
demischer Widerspanst erwies, der allen Ver-

suchen, seine geistige Eigenwüchsigkeit ins tra-
ditionell Akademische umzubiegen, mit uner-
schütterlicher Gelassenheit und Festigkeit ent-
gegentrat. Man weiß, daß er eine schier
krankhafte Leidenschaft für Eisenbahnfahrten
und eine besondere Vorliebe für die plastischen
und zeichnerischen Gebilde der mittelalterlichen
Primitiven Europas und der gleichsam zeitlosen
Ur- und Naturvölker Afrikas und Australiens
empfand. Man weiß, daß er von 1909 an all-
jährlich ausstellte; zuerst in der „Neukunst-
gruppe", dann im „Hagenbund" und in der
„Sezession" und schließlich, als Haupt und
Führer, im „Sonderbund". Man weiß, daß die
für Kunst mehr oder minder oberflächlich in-
teressierte Wiener Bourgeoisie und Aristokratie
ihr Herz durch Schieies Bildwerke nicht bewegt
fühlte, — ihren Geist natürlich erst recht nicht,
kaum ihre Sinne —, und daß er sich durch diese
Ablehnung nicht abhalten ließ, als außerhalb
der „Gesellschaft" stehender Einsamer, wie
eine Spinne aus eigenem Seim Wunderliches
zu spinnen. Man weiß, daß das Ausland, die
 
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