In memoriam Egon Schule.
EGON SCHIELE t-
>BI1DNIS-ZEICHNUNG«
scheuen grünen Augen hinter rot entzündeten
Lidern, die verskrofelten Hand- und Fuß-
knochen, die schleimigen Mäuler und — die
Seele in diesen schlechten, verdorbenen Be-
hältern. Als der Neugotiker, der er war, sah
und malte er das Grauen. Aber man mißver-
steht ihn, wenn man wähnt, daß er all das mit
Vorliebe, aus einem perversen Trieb und Hang
malte. Er suchte weder entartetes Vergnügen,
noch verfolgte er eine moralische Absicht. Er
wollte nicht mit Garstigem schrecken, nur Neues
für die Kunst erobern. Und dann darf man nicht
vergessen, daß er ja auch die Leiber gesunder
Kinder studiert und gemalt hat, und zwar nicht
minder genau studiert und nicht weniger oft
gemalt, und daß er eine große Anzahl schön-
heitsprangender Akte, ergreifender Bildnisse
und wundervoller Landschaften, Ansichten alter
Städte und Stilleben geschaffen hat.
Es soll durchaus nicht abgeleugnet werden,
daß seine bis zur Mystik verinnerlichte Religiosi-
tät Schiele zeitweilig spontan bis in die Erotik
trieb, in eine vom Sentimentalen bis ins Perverse
abgestufte Erotik, und daß er dadurch für alle
heuchlerischen Moralspießer zu einem Greuel
und Scheuel wurde; aber da er das Abiturium des
Absurden in der geistigen Akademie des Revo-
lutionären — wo er das Unkorrekte korrekt aus-
zudrücken gelernthatte —sehr rasch absolvierte,
könnte man sich endlich doch dazu bequemen,
nicht mehr ausschließlich die ekstatischen Figu-
renbilder einer bestimmten Periode seiner Ent-
wicklung ins Auge zu fassen, die in wütenden
Krämpfen aus einer Mischung von unterbun-
dener oder ausgearteter Geschlechtlichkeit und
quälenden Schauern leidender Seelen geboren
erscheinen, sondern den Blick hinzulenken auf
die ebenso keusch wie innig empfundenen Land-
schaften und figuralen Kompositionen seiner
letzten Zeit.
Schiele war als ein Träumer und Seher durch
den wachen Tag gewandelt und hatte mit sich
ein Träumen getragen, das ins Unendliche ästet.
Ihn selbst hatte das Leben mit vielem Leid
gleichsam überladen, indem es ihn, der von
einer Dünnhäutigkeit ohnegleichen war, das
Dasein erleben ließ; und nur die Kunst beschenk-
te ihn mit Lust durch die Arbeit, die sie ihm
verursachte. Darum arbeitete er wohl auch in
unersättlicher Gier, in fast beispielloser Uner-
müdlichkeit. In Wien gab es neben ihm keinen
zweiten und vor ihm nur einen einzigen Künstler
— Rudolf Alt — von gleicher oder auch nur
ähnlicher Arbeitsfähigkeit.
Schon damals, als ich dem noch nicht Zwan-
zigjährigen, und bis dahin gänzlich Unbekannten,
zum ersten Mal begegnete, fand ich ihn stets
immen-emsig am Werk und zu jeglicher Auf-
opferung für die Kunst bereit. Junge Menschen
sind ja allerdings, wenn sie nicht vollkommen
EGON SCHIELE t-
>BI1DNIS-ZEICHNUNG«
scheuen grünen Augen hinter rot entzündeten
Lidern, die verskrofelten Hand- und Fuß-
knochen, die schleimigen Mäuler und — die
Seele in diesen schlechten, verdorbenen Be-
hältern. Als der Neugotiker, der er war, sah
und malte er das Grauen. Aber man mißver-
steht ihn, wenn man wähnt, daß er all das mit
Vorliebe, aus einem perversen Trieb und Hang
malte. Er suchte weder entartetes Vergnügen,
noch verfolgte er eine moralische Absicht. Er
wollte nicht mit Garstigem schrecken, nur Neues
für die Kunst erobern. Und dann darf man nicht
vergessen, daß er ja auch die Leiber gesunder
Kinder studiert und gemalt hat, und zwar nicht
minder genau studiert und nicht weniger oft
gemalt, und daß er eine große Anzahl schön-
heitsprangender Akte, ergreifender Bildnisse
und wundervoller Landschaften, Ansichten alter
Städte und Stilleben geschaffen hat.
Es soll durchaus nicht abgeleugnet werden,
daß seine bis zur Mystik verinnerlichte Religiosi-
tät Schiele zeitweilig spontan bis in die Erotik
trieb, in eine vom Sentimentalen bis ins Perverse
abgestufte Erotik, und daß er dadurch für alle
heuchlerischen Moralspießer zu einem Greuel
und Scheuel wurde; aber da er das Abiturium des
Absurden in der geistigen Akademie des Revo-
lutionären — wo er das Unkorrekte korrekt aus-
zudrücken gelernthatte —sehr rasch absolvierte,
könnte man sich endlich doch dazu bequemen,
nicht mehr ausschließlich die ekstatischen Figu-
renbilder einer bestimmten Periode seiner Ent-
wicklung ins Auge zu fassen, die in wütenden
Krämpfen aus einer Mischung von unterbun-
dener oder ausgearteter Geschlechtlichkeit und
quälenden Schauern leidender Seelen geboren
erscheinen, sondern den Blick hinzulenken auf
die ebenso keusch wie innig empfundenen Land-
schaften und figuralen Kompositionen seiner
letzten Zeit.
Schiele war als ein Träumer und Seher durch
den wachen Tag gewandelt und hatte mit sich
ein Träumen getragen, das ins Unendliche ästet.
Ihn selbst hatte das Leben mit vielem Leid
gleichsam überladen, indem es ihn, der von
einer Dünnhäutigkeit ohnegleichen war, das
Dasein erleben ließ; und nur die Kunst beschenk-
te ihn mit Lust durch die Arbeit, die sie ihm
verursachte. Darum arbeitete er wohl auch in
unersättlicher Gier, in fast beispielloser Uner-
müdlichkeit. In Wien gab es neben ihm keinen
zweiten und vor ihm nur einen einzigen Künstler
— Rudolf Alt — von gleicher oder auch nur
ähnlicher Arbeitsfähigkeit.
Schon damals, als ich dem noch nicht Zwan-
zigjährigen, und bis dahin gänzlich Unbekannten,
zum ersten Mal begegnete, fand ich ihn stets
immen-emsig am Werk und zu jeglicher Auf-
opferung für die Kunst bereit. Junge Menschen
sind ja allerdings, wenn sie nicht vollkommen