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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 44.1919

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Roessler, Arthur: In memoriam Egon Schiele
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https://doi.org/10.11588/diglit.9120#0259

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In memoriam Egon Schiele.

EGON SCHIELE t.

» SELBSTBILDNIS t

zu jeglicher Kreatur lebendig war, von sanfter
Rührung bewegt wurde.

Nach dem Tode ihres frei gekürten Führers
Klimt hatten die jungen Wiener Künstler Egon
Schiele zu ihrem Häuptling erkoren, trotz des
prinzipiellen Einwandes der Radikalen unter
ihnen, daß Schieies Kunst zweidimensional sei
und daß ihr noch mancherlei lediglich Dekora-
tives anhafte. Sie handelten wohl so, gezwungen
von der Kraft seiner Persönlichkeit, der starke
Gewalten ausströmenden ungewöhnlichen Natur
dieses nie zum Parteigänger sich vergrenzenden
Künstlers, der ein echter und großer Künstler
war, wenn er auch noch nicht zur abstrakt-bild-
mäßigen Veranschaulichung alles Geschehens
im vierdimensionalen raumzeitlichen Kontinuum
vorgedrungen sein mochte. Wobei es eine of-
fene Frage bleibt, ob Schiele bestrebt war, da-
hin vorzudringen; denn Schiele war dem bloß
geistreichen Experiment abhold. Er schuf aus
einem die Menschheitswelt umfassenden Gefühl
heraus wieder für die Menschheit. Er steigerte
die Zweidimensionalität ins Geistige und trach-
tete, in seine Linien und seine Farben so viel
nahezu unmittelbaren Gefühlsausdruck zu pres-
sen, wie der Tondichter in die Musik. Er war
daher sicherlich weniger Maler als mancher

seiner näheren Kollegen; aber er wollte die
absolute Malerei gärnicht, die manche seiner
Kampfgenossen besitzen, wollte sie jedenfalls
nicht vor allem andern. Ihm war die Malerei,
wenn man so sagen darf, nur ein Mittel zum
Zweck, ein allerdings überaus feines, ganz außer-
ordentlich hochentwickeltes Ausdrucksmittel,
und sein Zweck war die Vollendung eines geist-
sinnlichen Anschauens, einer Seherschaft, über
deren Zauber man die geistigen, mehr aber
noch die sinnlichen Reize der Linie und Farbe
vergessen kann und soll. — Unter den Wiener
Künstlern der Gegenwart wirkte Egon Schiele,
auch durch seine äußere Erscheinung übrigens,
wie ein Fremder, wie ein Sendling aus unbe-
kannten Fernen, wie jemand, dervon den Toten
auferstand und voll schmerzlicher Verwirrung
eine geheimnisvolle Botschaft mit sich unter
die Menschen trägt, ohne die rechte Gelegen-
heit zu finden, die Botschaft auszurichten.

Kosmische Trauer ist die Muse seiner Kunst
und ihr Rhythmus ist berückend...... a. r.

Wir machen auf das von Arthur Roessler herausgegebene Buch
„In Memoriam EGON SCHIELE" aufmerksam, das mit Beiträgen
von Dr. Hans Tietze, Dr. Kurt Rathe, Dr. Erwin Rieger, Dr. Paul
Stefan, F. Th. Csokor, L. Liegler, Otto Benesch, Dr. Mai Eisler,
P. Gütersloh und anderen Autoren, nebst 20 Bildreproduktionen,
zugleich mit einem Band ausgewählter „Briefe und Aufsätze von Egon
Schiele" zum Herbst 1919 im Avalun-Verlag-Wien erscheinen wird.
 
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