Bildersturm.
PROFESSOR FRANZ METZNER t-
»SKIZZE ZU EINEM GRABMAL«
„Was frommt uns Form, wenn der Leib ge-
tötet, geknechtet wird?" — Es gibt mancherlei
Antwort auf diese Frage. Zunächst die indirekte:
Wer wagt zu sagen, daß der Konflikt zwischen
Ethos, Leben, Wirklichkeit einerseits und der
Kunst andererseits heute zum ersten Mal auf-
tritt? Jeder Künstler erlebt ihn an sich. Tau-
sende von Künstlern haben ein elendes Leben
geführt, um ihrer Berufung zu folgen. Hunderte
haben buchstäblich das erlitten, was Hillers
rhetorische Frage als Absurdität abzuweisen
scheint: sie haben ihren Leib knechten lassen,
sie sind in einen jammervollen Tod gegangen,
damit das an Form aus ihrem Dasein fließe, was
sie dem Geiste schuldig waren. Es scheint also,
daß ihnen Form doch etwas gefrommt hat, da
sie es für nötig hielten, in ihrem Dienst zugrunde
zu gehen. Sie frommte ihnen jedenfalls das
Eine, daß sie ihre geistige Mission erfüllten,
daß sie dem Geiste mehr gehorchten als den
entgegenstehenden Kräften. — Und es gibt
auch eine direkte Antwort auf die gestellte
Frage: diese, daß ein geistiger Mensch, der
aufgrund klarer Berufung im Sinne dieser Be-
rufung tätig wird, dem Geiste zwischen Himmel
und Erde das Höchste leistet, das füglich von
ihm erwartet werden kann; tausendmal Wert-
volleres jedenfalls als einer, der sich gewaltsam
dieser Berufung entzieht. Wer als Künstler
geboren ist, hat an Form das zu leisten, was
der geborene Tatmensch an Bewegung wirk-
licher Welt zu leisten hat. Ehrfurcht vor der
Ökonomie des Geistes, der im großen Ge-
schehen wirkt! Wer will ihm nachrechnen und
sagen: Es ist falsch, daß heute noch Formstreben
in den Geistern lebt, wo die Welt nur nach
Taten hungert?
Wert der Form ist geistiger Wert. Sein ein-
ziger Beruf ist, fest, fremd und richtunggebend
zu bleiben wie die Sterne. Es macht den ein-
zigen (hört: den einzigen!) Wert des Geistigen
aus, daß es nicht am Wirbeltanz des Ge-
schehens teilnimmt, sondern seinen Beruf,
Leuchtfeuer zu sein, durch eifersüchtige Be-
wahrung seiner Reinheit erfüllt. Geist handelt
geistig, wenn er wie Archimedes dem herein-
stürzenden Weltgeschehen zuruft: Störe mir
meine Kreise nicht! Er mag dafür erschlagen
werden; das ist des Geschehens Recht. Recht
und Pflicht des Geistes aber ist es, eher Tod
zu leiden als im Waffentanz mitzurasen und
sich so selbst zu verraten. — Es geschah am
Anfang des Weltkrieges, daß ein junger Dichter,
ergriffen von den Strudeln der damals ent-
fesselten Massengefühle, der Natur sein Miß-
fallen aussprach, weil sie teilnahmslos gegen-
PROFESSOR FRANZ METZNER t-
»SKIZZE ZU EINEM GRABMAL«
„Was frommt uns Form, wenn der Leib ge-
tötet, geknechtet wird?" — Es gibt mancherlei
Antwort auf diese Frage. Zunächst die indirekte:
Wer wagt zu sagen, daß der Konflikt zwischen
Ethos, Leben, Wirklichkeit einerseits und der
Kunst andererseits heute zum ersten Mal auf-
tritt? Jeder Künstler erlebt ihn an sich. Tau-
sende von Künstlern haben ein elendes Leben
geführt, um ihrer Berufung zu folgen. Hunderte
haben buchstäblich das erlitten, was Hillers
rhetorische Frage als Absurdität abzuweisen
scheint: sie haben ihren Leib knechten lassen,
sie sind in einen jammervollen Tod gegangen,
damit das an Form aus ihrem Dasein fließe, was
sie dem Geiste schuldig waren. Es scheint also,
daß ihnen Form doch etwas gefrommt hat, da
sie es für nötig hielten, in ihrem Dienst zugrunde
zu gehen. Sie frommte ihnen jedenfalls das
Eine, daß sie ihre geistige Mission erfüllten,
daß sie dem Geiste mehr gehorchten als den
entgegenstehenden Kräften. — Und es gibt
auch eine direkte Antwort auf die gestellte
Frage: diese, daß ein geistiger Mensch, der
aufgrund klarer Berufung im Sinne dieser Be-
rufung tätig wird, dem Geiste zwischen Himmel
und Erde das Höchste leistet, das füglich von
ihm erwartet werden kann; tausendmal Wert-
volleres jedenfalls als einer, der sich gewaltsam
dieser Berufung entzieht. Wer als Künstler
geboren ist, hat an Form das zu leisten, was
der geborene Tatmensch an Bewegung wirk-
licher Welt zu leisten hat. Ehrfurcht vor der
Ökonomie des Geistes, der im großen Ge-
schehen wirkt! Wer will ihm nachrechnen und
sagen: Es ist falsch, daß heute noch Formstreben
in den Geistern lebt, wo die Welt nur nach
Taten hungert?
Wert der Form ist geistiger Wert. Sein ein-
ziger Beruf ist, fest, fremd und richtunggebend
zu bleiben wie die Sterne. Es macht den ein-
zigen (hört: den einzigen!) Wert des Geistigen
aus, daß es nicht am Wirbeltanz des Ge-
schehens teilnimmt, sondern seinen Beruf,
Leuchtfeuer zu sein, durch eifersüchtige Be-
wahrung seiner Reinheit erfüllt. Geist handelt
geistig, wenn er wie Archimedes dem herein-
stürzenden Weltgeschehen zuruft: Störe mir
meine Kreise nicht! Er mag dafür erschlagen
werden; das ist des Geschehens Recht. Recht
und Pflicht des Geistes aber ist es, eher Tod
zu leiden als im Waffentanz mitzurasen und
sich so selbst zu verraten. — Es geschah am
Anfang des Weltkrieges, daß ein junger Dichter,
ergriffen von den Strudeln der damals ent-
fesselten Massengefühle, der Natur sein Miß-
fallen aussprach, weil sie teilnahmslos gegen-