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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Michel, Wilhelm: Einige Gedanken über die Allegorie
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0018

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SUZANNEVALADON

GEHALDE »ODALISKE«

EINIGE GEDANKEN ÜBER DIE ALLEGORIE

VON WILHELM MICHEL

Es ist nicht sehr aktuell, sich Gedanken über
die Allegorie zu machen. Sie ist eine sehr
vergangene Kunstweise. Sie wurde uns in den
70er und 80er Jahren, den Jahren des Abbruchs
der Überlieferungen, in einer so verdünnten
und armseligen Gestalt aus der Vergangenheit
herübergereicht, daß wir uns den Abscheu vor
ihr holten. Heute ist sie gänzlich außer Kurs
gesetzt. Figuren, die Begriffe illustrieren I Kom-
positionen, die die Rede, die Syntax und die
Grammatik ins Bildliche übertragen wollen!
Das paßt nicht zu unsrer Anschauungsweise.
Wir wollen im Bild nur die Kreatur selbst sehen.
Wir wollen im Bild der Kreatur die tiefere,
geistige Bedeutung nur in derselben Weise dar-
gestellt sehen, wie sie sich uns im Leben selbst
darstellt: verhüllt, nicht Menschengestalt ge-
worden, sondern als Schein darüber schwebend,
im Wie der Farben und Linien sich offenbarend.
Wir sind dem allegorischen Ausdruck so fern
gerückt, daß wir uns kaum mehr erklärenkönnen,
wieso die Menschheit jemals auf ihn verfallen
konnte. Und doch hat sich gerade die uns

am nächsten stehende Kunst des Abendlandes
jahrhundertelang des allegorischen Ausdrucks
bedient. In der Gotik wie in der Renaissance,
im Barock und Rokoko hat die Allegorie ge-
blüht. Sie hat im Dienste des religiösen Aus-
drucksbedürfnisses gestanden, sie hat später
den weltlichen Mächten gedient. Die Darstel-
lungen der Todsünden, des Erlösungswerkes,
der Totentänze, die Triumphe der Barock-
herrscher, denen ein Volk von Genien und
symbolischen Figuren huldigt — sie sind alle
in allegorischer Weise gedacht. Was ist Dantes
großes Gedicht anderes als eine einzige Allegorie?

Sieht man nur näher zu, so findet sich, daß
die Allegorie — die wir nur als Symptom
künstlerischer Schwäche, als Zeichen dilettan-
tischer Ausdrucksnot kennen — von Hause
aus etwas sehr Hohes und Kraftvolles ist. Und
zwar liegt dieses Kraftvolle gerade in dem, was
wir als das Unorganische, Harte und Unver-
mittelte in ihr empfinden. Die Allegorie ist
Ausdrucksform einer Zeit, für die Ideen, Be-
griffe usw. ein selbständiges, abgelöstes Leben
 
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