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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Born, Wolfgang: Der Pariser Architekt Rob Mallet-Stevens
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Wenzel, Alfred: Über Konstruktionsmittel: Aus einem Dialog
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0402

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Der Pariser Architekt Rob Mallet-Stcvens

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jedoch von den unentwegten Vertretern einer
„neuen Sachlichkeit" unterscheidet, deren
Dogma die Maschine ist, ergibt sich aus seinem
persönlichen Bekenntnis zur Schönheit als Ziel.
Mallet Stevens fühlt und denkt als Künstler.

Seine Entwickelung war vom ersten Augen-
blick an konsequent. An Aufgaben, wie sie die
Ausstattung von Filmen, die Arrangierung von
Ausstellungen boten, wuchs sein Stil zu dem
strengen Kubismus, der sich seit 1924 in ein-
zelnen Landhausbauten manifestierte, bis das
Jahr 1926 Gelegenheit zu einer monumentalen
Entfaltung aller Kräfte bot. Es galt, in Auteuil
(also einem Stadtteil von lockerer Bebauung,
mit viel Grün zwischen Villen und gepflegten
Miethäusern) eine ganze Straße anzulegen. Sechs
Häuser — 1927 fertiggestellt — bilden ein
Ganzes, eine Sackgasse, die von den Laub-
massen eines Gartens begrenzt wird. Der erste
Eindruck ist der einer rassigen Selbstverständ-
lichkeit der Haltung; die Fassaden „sitzen" ge-

wissermaßen, wie der tadellose Anzug eines
englischen Schneiders der großen Welt. Kein
störendes Zuviel an Formen. Aber mit den
diskretesten Mitteln ist ein höchst lebendiger
Reichtum erzielt. Die sparsamen Akzente, wie
der zylindrische Treppenturm des Hauses Martel,
rhythmisieren schlagkräftig die architektonische
Melodie, und die mächtigen Ausmaße der wie
in die Mauern geschnittenen Fenster geben die
Tonart an: ein helles, heroisches C-Dur. Sechs
dreieckig gepreßte Linien, ein Motiv von sim-
pelster Zeichnung, vermitteln glücklich zwischen
dem starren Aufstieg der Fronten und der
Straßenebene, die von dem organischen Leben
der Beete aufgelockert ist.

Mit durchdachter Ökonomie sind die Kräfte
verteilt. Aus den wohllautenden Proportionen
der Körper und Flächen, aus der klaren Or-
ganisation von Licht und Schatten spricht ein
Wille zur Harmonie, der die konstruktive Logik
der Anlage ästhetisch ergänzt.

ÜBER KONSTRUKTIONSMITTEL

AUS EINEM DIALOG

.......Gewiß, unsere Architektur steht im

Zeichen des Eisenbeton. Ich gebe ohne wei-
teres zu, daß dieses Material und seine bau-
konstruktive Verwendung architektonische Wir-
kungen ermöglichen, die man früher nicht hätte
erreichen können. Ich muß Ihnen auch zuge-
stehen, daß der Eisenbeton, wie jedes andere
Material, vom Architekten eine gewisse Konse-
quenz in der Verwendung verlangt; und zwar
eine Konsequenz, die nicht nur darin besteht,
das mit dem jeweiligen Material Erreichbare
gegen das Unmögliche abzugrenzen, sondern
auch die Forderung in sich schließt: mit dem
gegebenen Material nur so zu konstruieren, wie
es gewissermaßen „in seiner Natur liegt". Darin
scheinen mir aber auch Beschränkungen zu liegen,
die mich veranlassen könnten zu sagen, daß die
moderne Architektur gleichsam in ein sklavisches
Abhängigkeitsverhältnis geraten sei: der Eisen-
beton diktiert, der Architekt hat sich zu fügen.
Sie werden mich sofort verstehen: Ich muß zu-
geben, daß es „in der Natur" dieses Materiales
liegt, in horizontaler Verspannung verwendet
zu werden. Es wäre „inkonsequent", einen
Raum zu überwölben, den man heute, auch
in größten Dimensionen, flach decken kann.
Werden dem Architekten durch solche Unter-
ordnung nicht die Flügel gebunden? Gerät er
nicht unter die Herrschaft einer Konstruktion,
die — wohl in langen Jahre vervollkommnet,
— doch einer zufälligen Erfindung ihren Ur-

sprung verdankt; denn — soviel ich mich erin-
nere — stellte zuerst ein französischer Gärtner
Blumenkübel aus Beton über einem Drahtnetz
her? Ist nicht durch die technische Vervoll-
kommung ein zufälliges Konstruktionsmittel, das
eben nur eine „mittelbare" Geltung hat, zum
Beherrscher der Architektur geworden?" —

„Nein. Die Architektur kann, so wenig wie
jede andere Kunst, die Dienerin ihrer Hilfsmittel
werden. Sie wiederholen nur einen auch heute
noch weit verbreiteten Irrtum, wenn Sie von
„zufälligen" Entdeckungen neuer materieller
Möglichkeiten sprechen und ihnen einen bestim-
menden Einfluß auf die Kunstübung zutrauen,
der bis zur Gewaltsamkeit gehen kann. — Jede
Kunst trachtet nur nach der Ausbildung jener
Hilfsmittel, mit denen der bildnerische Impuls
zur „Gestalt" realisiert werden kann. So war
es stets und es wird nie anders sein. Würden
Sie — um in eine andere Kunstsphäre zu blicken,

— vielleicht die allmähliche Ablösung der Vokal-
polyphonie durch die Instrumentalmusik als ein
musikgeschichtliches Faktum einfach damit er-
klären, daß man „mit der Zeit" vollkommenere
Musikinstrumente erfunden hatte ? Oder würden
Sie die „wirklichkeitsgetreueren" Malereien des
Quattrocento darauf zurückführen, daß man die
Perspektive als Hilfsmittel „entdeckt" hatte?

— Es verhält sich umgekehrt: Man strebte nach
der Ergründung optischer Gesetzmäßigkeiten
erst, als man ihre Kenntnis als notwendig er-
 
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