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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Lux, Joseph August: Otto Wagner und die Neue Sachlichkeit: zum 10jährigen Gedächtnis Otto Wagners
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0213

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AUS »LUX! OTTO WAONRK MONOGRAPHIE

OTTO WAGNER UND DIE NEUE SACHLICHKEIT

ZUM 10JÄHRIGEN GEDÄCHTNIS OTTO WAGNERS
VON JOSEPH AUGUST LUX

In Wien feiert man nicht nur Beethoven und
Schubert, sondern auch, und das ist eine
Ehrenschuld, das Andenken des großen Bau-
meisters Otto Wagner. Zehn Jahre sind seit
seinem Tod vergangen, wir haben Distanz zu
ihm gewonnen und zu seinem Werk und siehe,
es ist größer geworden und gewinnt immer
mehr an Tragweite. Das Wirken eines Genies
ist mit seinem Tode nicht zu Ende, vielmehr
ist ihm in der Regel erst dann der größere Sieg
beschieden. Otto Wagners Geist lebt in den
Jungen, in denen, die Zukunft tragen, denn sein
Geist war seiner Zeit weit voraus, er wartet
längst dort, wo erst die Jugend aufsteht und
sich besinnt und ihn findet als Bahnbrecher,
als Scheinwerfer, der das Jahrhundert vor uns
erleuchtet und den Voranstrebenden die Ziele
weist. Die neue Sachlichkeit wurde schon um
1900 von Otto Wagner und seinem Kreis ge-
lehrt, von Josef Hoff mann in entscheidender
Weise ausgebildet, von Peter Behrens, der gei-
stig zu uns gehört, in seinen Industrie- und
Kultbauten verkörpert.

Otto Wagner war es, der in jener vielver-
lästerten und doch so fruchtbaren Zeit der
Kunsterneuerung als Erster den Zukunftsstil
predigte. Auf drei Sätzen beruhte in der Haupt-

sache sein bahnbrechendes Werk: 1. der Aus-
gangspunkt des modernen künstlerischen Schaf-
fens kann nur das moderne Leben sein; 2. die
Kunst ist für die Menschheit da und nicht die
Menschheit für die Kunst, darin sich der mo-
derne soziale Geist des Künstlers manifestieit;
und 3. es ist gewiß, daß der Zukunftsstil nur
der Nutzstil sein wird, dem wir mit vollen
Segeln zusteuern.

Otto Wagner war auch der Erste, der das
neue Architekturproblem sah: die Weltstadt
und mit dem Problem auch schon die Lösung
als eine echt künstlerische und echt moderne
soziale Tat setzte. An Stelle der retrospektiven
Architekturrichtungen, die er stets verpönte,
postulierte er ein neues Gesetz: die Charakte-
ristik, die das Sinngemäße, Funktionelle, Ma-
terialgemäße, Technische, Konstruktive, In-
genieurmäßige unvermittelt ausdrückt. In dem
Technischen, Ingenieurmäßigen, Konstruktiven
sah er gerade die Elemente des Neustils. Schär-
fer konnte die neue Sachlichkeit nicht formu-
liert werden wie in seiner berühmten Schrift
„Moderne Baukunst", die ihn auf jeder Seite
als genialen Meister des Grundrisses dokumen-
tiert, des Grundrisses, den ich als die reine
Vernunft der Baukunst bezeichnen möchte.
 
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