Otto Wagner und die neue Sachlichkeit
204
Aber, so entwickelt der Meister sein Glau-
bensbekenntnis: das Errechnete, Mathemati-
sche, Ingenieur-Technische ist noch nicht Kunst,
und kann niemals Baukunst ersetzen, die nach
ihm „der höchste Ausdruck menschlichen ans
Göttliche streifenden Könnens ist." Überall
muß auch im Konstruktiven die schöpferische
Künstlerkraft hervorleuchten, etwas, das er wie
ein Mysterium über sich weiß, und das im Meta-
physischen begründet ist. So erkennt man, wie
dieser große Realist mit dem Wahlspruch „ Artis
sola domina Necessitas" doch auch im Trans-
cendenten verankert ist, ohne welches es keine
Kunst, keinen Baustil und auch keine neue
Sachlichkeit gäbe. Der baukünstlerische Beruf
ist, nach einem seiner berühmten Worte, „die
rechte Mischung von Realismus und Idealismus ".
— Wenn er nun von dem Architekten Wahr-
heitsstreben verlangt,
und erklärt, daß „das
Unpraktische niemals
schön sein kann, wohl
deshalb, weil es nicht
wahrhaft und darum
auch nicht gut ist,
und wenn er Kunst-
förderung definiert
als die Aufgabe, das
Gute zu erkennen und
sein Werden zu er-
möglichen", so tritt
uns schon aus sol-
chen Andeutungen
das tiefe Ethos des
Künstlers entgegen,
der sich mit dem
unerschütterlichen
Glauben an den Sieg
des Guten, zum ewig
Wahren und ewig
Schönen bekennt. In
diesem Glauben hat
er ein neues Archi-
tektengeschlecht, die
berühmte Wagner-
schule, erzogen. —
Und auf diesen eher-
nen Grundsätzen be-
ruhen die Schöpfun-
gen des Künstlers.
Seine Vaterstadt
Wien besitzt den
zweifelhaften Ruhm,
nur zum geringsten
Teil sein grandioses
Lebenswerk zur Aus-
führung zugelassen
GERTRUD BAUDISCH. »KERAMISCHER KAKTEENSTANDER«
WIENER WERKSTÄTTE—WIEN
zu haben; dabei spielte bewußte Verhinderung
eine in jeder Hinsicht beklagenswerte Rolle.
Trotzdem ist es dem Meister gelungen, dieser
Stadt den Stempel seines Geistes aufzudrücken
und eine nicht fortzudenkende klassische Schön-
heit dem Baubild der Stadt zu verleihen. Außer
einer Reihe von modernen Wohnhäusern, Palais
und Villen ist vor allem die Stadtbahnanlage
zu nennen, die eine architektonische Zierde
bildet, mit den Löwen geschmückten Wasser-
wehrbauten in Nußdorf als edles Wahrzeichen;
dann der weithinleuchtende Kuppelbau der
Kirche am Steinhof, streng modern und zugleich
frühchristlich angehaucht, zart und streng wie die
Beuroner Kunst; der Kassensaal der Länder-
bank und vor allem der Bau der Postsparkasse
mit dem dreischiffigen Kassensaal, den ich neben
der gotischen Stephanskirche und der barocken
Dreifaltigkeits- Säule
von Burnacini am
Graben als das dritte,
und zwar moderne
Wahrzeichen Wiens
nennen möchte. Wag-
ners Klassizität ist
zeitlos, modern, echt
wienerisch und da-
rum so lebendig und
stammverwandt mit
der Muse Grillpar-
zers, die in ihren
griechischen Frauen-
gestalten darum so
blutecht und leben-
dig ist, weil sie eben
auch so wurzelecht
wie wienerisch ist.
— Das Beste aber,
vor allem die Karls-
platzlösung als welt-
städtisches Baupro-
gramm, und so vie-
les andere, ist leider
durch den Unver-
stand der Zeitgenos-
sen vereitelt worden.
Das ist die Tragik des
großen Genies, daß
ihm die Zeit nicht
gewachsen war. Aber
das ist seine Zukunft,
daß eine Jugend auf-
steht und für ihn
zeugt, denn Jugend
und Genie gehören
zusammen. In seiner
Schule lebt er fort. —
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Aber, so entwickelt der Meister sein Glau-
bensbekenntnis: das Errechnete, Mathemati-
sche, Ingenieur-Technische ist noch nicht Kunst,
und kann niemals Baukunst ersetzen, die nach
ihm „der höchste Ausdruck menschlichen ans
Göttliche streifenden Könnens ist." Überall
muß auch im Konstruktiven die schöpferische
Künstlerkraft hervorleuchten, etwas, das er wie
ein Mysterium über sich weiß, und das im Meta-
physischen begründet ist. So erkennt man, wie
dieser große Realist mit dem Wahlspruch „ Artis
sola domina Necessitas" doch auch im Trans-
cendenten verankert ist, ohne welches es keine
Kunst, keinen Baustil und auch keine neue
Sachlichkeit gäbe. Der baukünstlerische Beruf
ist, nach einem seiner berühmten Worte, „die
rechte Mischung von Realismus und Idealismus ".
— Wenn er nun von dem Architekten Wahr-
heitsstreben verlangt,
und erklärt, daß „das
Unpraktische niemals
schön sein kann, wohl
deshalb, weil es nicht
wahrhaft und darum
auch nicht gut ist,
und wenn er Kunst-
förderung definiert
als die Aufgabe, das
Gute zu erkennen und
sein Werden zu er-
möglichen", so tritt
uns schon aus sol-
chen Andeutungen
das tiefe Ethos des
Künstlers entgegen,
der sich mit dem
unerschütterlichen
Glauben an den Sieg
des Guten, zum ewig
Wahren und ewig
Schönen bekennt. In
diesem Glauben hat
er ein neues Archi-
tektengeschlecht, die
berühmte Wagner-
schule, erzogen. —
Und auf diesen eher-
nen Grundsätzen be-
ruhen die Schöpfun-
gen des Künstlers.
Seine Vaterstadt
Wien besitzt den
zweifelhaften Ruhm,
nur zum geringsten
Teil sein grandioses
Lebenswerk zur Aus-
führung zugelassen
GERTRUD BAUDISCH. »KERAMISCHER KAKTEENSTANDER«
WIENER WERKSTÄTTE—WIEN
zu haben; dabei spielte bewußte Verhinderung
eine in jeder Hinsicht beklagenswerte Rolle.
Trotzdem ist es dem Meister gelungen, dieser
Stadt den Stempel seines Geistes aufzudrücken
und eine nicht fortzudenkende klassische Schön-
heit dem Baubild der Stadt zu verleihen. Außer
einer Reihe von modernen Wohnhäusern, Palais
und Villen ist vor allem die Stadtbahnanlage
zu nennen, die eine architektonische Zierde
bildet, mit den Löwen geschmückten Wasser-
wehrbauten in Nußdorf als edles Wahrzeichen;
dann der weithinleuchtende Kuppelbau der
Kirche am Steinhof, streng modern und zugleich
frühchristlich angehaucht, zart und streng wie die
Beuroner Kunst; der Kassensaal der Länder-
bank und vor allem der Bau der Postsparkasse
mit dem dreischiffigen Kassensaal, den ich neben
der gotischen Stephanskirche und der barocken
Dreifaltigkeits- Säule
von Burnacini am
Graben als das dritte,
und zwar moderne
Wahrzeichen Wiens
nennen möchte. Wag-
ners Klassizität ist
zeitlos, modern, echt
wienerisch und da-
rum so lebendig und
stammverwandt mit
der Muse Grillpar-
zers, die in ihren
griechischen Frauen-
gestalten darum so
blutecht und leben-
dig ist, weil sie eben
auch so wurzelecht
wie wienerisch ist.
— Das Beste aber,
vor allem die Karls-
platzlösung als welt-
städtisches Baupro-
gramm, und so vie-
les andere, ist leider
durch den Unver-
stand der Zeitgenos-
sen vereitelt worden.
Das ist die Tragik des
großen Genies, daß
ihm die Zeit nicht
gewachsen war. Aber
das ist seine Zukunft,
daß eine Jugend auf-
steht und für ihn
zeugt, denn Jugend
und Genie gehören
zusammen. In seiner
Schule lebt er fort. —