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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Habicht, Victor Curt: Junge belgische Kunst: Ausstellung der Kestner-Gesellschaft Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0174

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JUNGE BELGISCHE KUNST-
AUSSTELLUNG DER KESTNER-GESELLSCHAFT HANNOVER

VON PROF. DR. V. C. HABICHT

Etwa 70 Gemälde, Zeichnungen und Plastiken
vermitteln eine gute Vorstellung vom Wesen
und Streben der jungen belgischen Kunst und
bieten eine glückliche Ergänzung zu der vor-
jährigen, großen Ensor-Ausstellung.

Von Plastikern sind G. Minne und E. W i j -
nants vertreten; Minne mit 4 Skulpturen und
einer großen Anzahl von Zeichnungen, die über
Erleben, Wollen und Gestaltungsart dieses ganz
nordischen Meisters ausreichend orientieren;
Wijnants mit einer „Frau mit Kind" und „Nege-
rinbüste", die das vorläufig noch starke Anleh-
nungsbedürfnis dieses Künstlers belegen.

An die Spitze der Malereien ist ein Bild von
J. Ensor: „Fischer am Ofen" zu stellen, eine
spätere Fassung eines älteren Motivs, bei dem
Gelb und Blau als Farbtöne vorherrschen und
das als gutes Beispiel der zwar gegenständlich
gebundenen, in der flächigen Eigengesetzlichkeit
des eigenartigen Bildstils aber souveränen Mal-
kunst des Meisters angesehen werden kann.

Eindrücke gepflegter Malkultur und feurig-
sinnlicher Farbigkeit hinterlassen die Stilleben
und Landschaften von W. Vaes und A. Olef f e.

Die Stärksten der „eigentlich Jungen" sind
C. Permeke und Fl. Jespers. Permekes
fünf große Bilder zeigen eine robuste, kraft-
bewußte, eigenartige Malform, bei der dunkle,
besonders braune Faiben bevorzugt sind. Diese
Matrosen, Feldarbeiter usw., die Motive über-
haupt, sind nur Vorwand für — sehr vlämisch
anmutende — schwere, deftige Form und Farb-
verknüpfungen.

Weniger selbständig erscheint Jespers,
dessen Malereien von Chagall, Campendonk,
Klee, Leger usw. stark beeindruckt sind. Die
Bilder: „Vernunftehe", „Der Irre", „Weibl. Akt",
„Hafenansicht" zeigen keinen einheitlichen Stil
und haben Stärke eigentlich nur in Einzelpartien.

Ähnlich eingestellt und auch ungleich ist das
Schaffen von F. v. d. Berghe.

Unter den übrigen Malern nimmt der kürzlich
verstorbene Jac. Smits eine Sonderstellung
ein. Eigenbrödelei mit Naivität sind die Voraus-
setzungen für Bildstil und Malverfahren. Ein
eigentümlicher körniger Farbauftrag, gedämpfte,
dunkle Töne geben den Bildern — schlichten
Landschaften — von vorneherein ein merk-
würdig erdenes Gepräge. Edg. Tytgats Bilder,
die wie Kinderzeichnungen anmuten, scheinen
bewußter auf ähnliche Eindrücke loszusteuern.

Von solchen Möglichkeiten kann bei J. de
Smet nicht die Rede sein. Sein Bild: „Paar
amStrand" mit einer kalkweißen, nacktenFrau,
liegendem Mann und einem rosafarbenen Dampf-
boot „Zeeavend" spielt sehr berechnend mit
Form und Farbauswägungen — nach allen mög-
lichen Vorbildern.

In einem bewährten — zuweilen von ferne an
Nolde oder Pechstein gemahnenden — Schema
arbeitet W. Paerels, dessen drei Bilder:
„Boote", „Hafenlandschaft", „Weiblicher Akt"
zweifellos Qualität besitzen. „Der alle Hafen"
schmeichelt zweifellos schon durch das höchst
anziehende, gegenständliche Motiv, das aber
im Bildaufbau und den Malwerten eine unver-
kennbare künstlerische Einheit und Steigerung
erfahren hat.

H. Daeye bevorzugt Kinder oder jugendliche
Akte und entwickelt an diesen Motiven einen
duftig-zarten , bewußt auf Fläche gestellten,
Bildstil, der mehr verspricht als die gewohnten
Stilisierungen, wie sie in den Landschaften von
R. Baseleer, V. Hagemanns „Bauern"
oder den fast altertümlich anmutenden Bildern
v. Mieghems angewendet sind.

Ein Gesamturteil ist schwerlich zu geben.
Die Situation ist die bekannte, genau so unein-
heitlich wie bei uns — und überall. Minne und
Ensor sind zwar unbestrittene Größen, aber sie
bindet mit den anderen nicht viel. Permeke
scheint die Anwartschaft zu besitzen, der „kom-
mende Mann" zu sein. Jedenfalls rührt sich hier

— aber auch z. T. bei Jespers oder v. d. Berghe

— etwas, was sich auch sonst beobachten läßt,
nämlich Bodenständiges. Das Aufkommen
dieser Kräfte stand nach den mehr oder minder

— wenigstens im Programmatischen —internatio-
nalen Wellen des Kubismus usw. zu erwarten.
Wenn neuerdings wieder öfters behauptet wird,
daß man „vor Bäumen den Wald nicht sehe"
und die Malerei schon längst die führende Kunst
unserer Zeit und zwar eine so starke, wie lange
nicht mehr, geworden sei, so wird man vorerst
noch einige Fragezeichen dahinter stellen. Viel-
leicht, daß sie es werden wird. Von Weltbürger-
tum mehr denn je entfernt, wie wir erstaunlichst,
doch de facto sind, wird sich diese Rolle „noch-
einmal" nur im alten, guten Gleise der Boden-
verwurzelung agieren lassen. Diese junge bel-
gische Kunst scheint — nehmt alles nur in allem

— auf einem richtigen und guten Wege. v. c. h.
 
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