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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Roessler, Arthur: Widerstreit der Generationen
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0183

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WIDERSTREIT DER GENERATIONEN

VON ARTHUR RÜESSLER

Wann und wo Menschen leben, stets leben
mehrere Generationen nebeneinander, von
denen mindestens zwei sich nicht verstehen,
teils weil sie nicht können, teils weil sie nicht
wollen. Die ältere Generation würde aller
Wahrscheinlichkeit nach auf Grund ihrer Lebens-
erfahrungen die jüngere Generation zu führen,
zu unterweisen, zu fördern vermögen, wenn die
Jungen auf die Alten hören möchten, statt nach
eigenen erlebnishaften Erfahrungen zu gieren.

Immer war das so, immer wird das so sein,
sagt der Skeptiker. Aber hat er Recht?

Die in unserer Zeit lebende ältere Generation,
reiche Erbin einer von Traditionswerten erfüllten
Kultur, die sich auf eine Mischung von klassisch-
humanistischer und naturwissenschaftlich - tech-
nischer Bildung gründet, hat sich, soweit das
Gebiet der bildenden Kunst in Betracht kommt,
auf ein epigonenhaftes Weiterpflegen überlieferter
Kunstanschauungen und Gestaltungsformen, im
übrigen jedoch auf zuschauendes Betrachten der
sie befremdlich und unbehaglich anmutenden
Gegenwart beschränkt. Da, wo die ältere Ge-
neration durch äußere oder innere Umstände
aus ihrer halb ablehnenden, halb zuwartenden
Haltung aufgestört und zu tätigem Eingreifen
genötigt wird, folgt sie dem unausweichlichen
Druck, doch mit Widerstreben, so daß ihr Tun
dabei nicht den Sinn der gewollten Umbildung,
Neubildung, sondern nur die Bedeutung einer
den veränderten Verhältnissen mehr oder minder
fügsam angepaßten Wiederholung hat.

Dieser älteren Generation steht die junge
Generation ungebärdig Freiheit heischend ge-
genüber. Sie besteht aus Wesen, die während
der sturmbewegten Jahre des großen Krieges
und des radikalen Umsturzes zu einer äußeren
Frühreife heranwuchsen, denen es nicht an
Kräften, aber an feinerer Durchbildung des
Geistes und Gemütes mangelt. Die junge Ge-
neration empfindet, — was nach dem eben Ge-
sagten nicht weiter verwunderlich ist —, im
allgemeinen fast nur materielle Bedürfnisse, sie
trachtet demgemäß mit rücksichtsloser Drauf-
gängerei nach deren Befriedigung. Kunstgesetze,
die Jahrtausende hindurch Geltung hatten, wer-
den bedenkenlos verworfen und durch eine ver-
meintlich funkelnagelneue, noch nie dagewesene,
normative Ästhetik ersetzt.

All das nimmt sich sehr lebendig und zuweilen
auch interessant aus. Bei näherem Zusehen
erweist sich jedoch als Tatsache, daß die mit
heißem Eifer unverzüglich angestellten Versuche,

MAX WEBER—GENF. PLASTIK »STEHENDES MADCHEN«

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