Einige Gedanken über die Allegorie
haben und deren Bildkraft so energisch ist, daß
sie selbst in die Bereiche des für uns Un-
anschaulichen und rein Begriffsmäßigen vor-
dringt. Baudelaire sagt: „Jede Idee ist durch
sich selbst mit einem unsterblichen Leben be-
gabt, wie eine Person", und damit spricht er die
Grundgesinnung der Allegorie aus.
Der Bereich der Allegorie ist freilich ein
kühler, ein erdferner Bereich; die Wärme der
Natur, die enge irdische Verbundenheit fehlt
ihm. Eine romantische, eine naturverschlungene
Menschheit wird die Allegorie ablehnen müssen,
und dies mit Recht. Aber wo Ideen mit Ernst
gedacht werden, wo der Mensch sich mit voller
Kraft aus der geschöpflichen Bindung erhebt,
wo man geistige Kräfle erlebt und schaut, da
wird sich die Allegorie zum Wort melden.
Wenn Piaton die „Ideen" als wirkliche und
wirksame Mächte denkt — was ist er anders
als Allegonker? Und müssen wir hierbei nicht
auch an Schiller denken, der gerade aufgrund
der großen Kraft und Selbständigkeit des Geistes
Allegoriker war? Man lese sein Gedicht wie
„Die Künstler", wie „Ideal und Leben", über-
haupt seine philosophischen Gedichte: an allen
Punkten sind sie voll von allegorischem Aus-
druck. Wenn er sagt, daß die Tugend sich zu
Tisch setzt, wenn sich das Laster erbricht, oder
daß der erhabene Fremdling, der Gedanke, aus
dem staunenden Gehirn springt, so ist dies
durch eine fühlbare Distanz vom bloß „über-
tragenen", vom bloß metaphorischen Ausdruck
getrennt. In Geistern wie demjenigen Schillers
strebt gerade das Gedachte immer zu sinn-
fälliger Gestalt, weil es eben mit Ernst, mit Nach-
druck gedacht ist. Es ließen sich aus seinen
Dichtungen sehr viele Proben anführen, die be-
weisen, wie sehr die allegorische Darstellungs-
weise gerade mit dem über die Natur her-
ausragenden Geiste zusammenhängt.
Wir werden, wenn wir dies begreifen, zwar
keineswegs die Möglichkeit oder auch nur die
innere Erlaubnis zum allegorischen Ausdruck
gewonnenhaben, wohl aber einen Zuwachs, eine
Einsicht. Ja, gerade diese neue Einsicht wird
uns erst recht klar machen, daß es für uns heute
keine Möglichkeit zur echten Allegorie gibt.
Denn es ist die Bestimmung unseres Zeitalters,
nicht aus den ideenbildenden und ideenschauen-
den Kräften zu leben, sondern unsere Verbin-
dung mit der Erde neu festzustellen. Darum
muß unsere Ausdrucksweise bis auf weiteres
Wege gehen, die von der Allegorie und der ihr
zugehörigen Geisteslage wegführen. ... w. m.
ANDRE UTTER—PARIS. GEMÄLDE »STILLEBEN«
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haben und deren Bildkraft so energisch ist, daß
sie selbst in die Bereiche des für uns Un-
anschaulichen und rein Begriffsmäßigen vor-
dringt. Baudelaire sagt: „Jede Idee ist durch
sich selbst mit einem unsterblichen Leben be-
gabt, wie eine Person", und damit spricht er die
Grundgesinnung der Allegorie aus.
Der Bereich der Allegorie ist freilich ein
kühler, ein erdferner Bereich; die Wärme der
Natur, die enge irdische Verbundenheit fehlt
ihm. Eine romantische, eine naturverschlungene
Menschheit wird die Allegorie ablehnen müssen,
und dies mit Recht. Aber wo Ideen mit Ernst
gedacht werden, wo der Mensch sich mit voller
Kraft aus der geschöpflichen Bindung erhebt,
wo man geistige Kräfle erlebt und schaut, da
wird sich die Allegorie zum Wort melden.
Wenn Piaton die „Ideen" als wirkliche und
wirksame Mächte denkt — was ist er anders
als Allegonker? Und müssen wir hierbei nicht
auch an Schiller denken, der gerade aufgrund
der großen Kraft und Selbständigkeit des Geistes
Allegoriker war? Man lese sein Gedicht wie
„Die Künstler", wie „Ideal und Leben", über-
haupt seine philosophischen Gedichte: an allen
Punkten sind sie voll von allegorischem Aus-
druck. Wenn er sagt, daß die Tugend sich zu
Tisch setzt, wenn sich das Laster erbricht, oder
daß der erhabene Fremdling, der Gedanke, aus
dem staunenden Gehirn springt, so ist dies
durch eine fühlbare Distanz vom bloß „über-
tragenen", vom bloß metaphorischen Ausdruck
getrennt. In Geistern wie demjenigen Schillers
strebt gerade das Gedachte immer zu sinn-
fälliger Gestalt, weil es eben mit Ernst, mit Nach-
druck gedacht ist. Es ließen sich aus seinen
Dichtungen sehr viele Proben anführen, die be-
weisen, wie sehr die allegorische Darstellungs-
weise gerade mit dem über die Natur her-
ausragenden Geiste zusammenhängt.
Wir werden, wenn wir dies begreifen, zwar
keineswegs die Möglichkeit oder auch nur die
innere Erlaubnis zum allegorischen Ausdruck
gewonnenhaben, wohl aber einen Zuwachs, eine
Einsicht. Ja, gerade diese neue Einsicht wird
uns erst recht klar machen, daß es für uns heute
keine Möglichkeit zur echten Allegorie gibt.
Denn es ist die Bestimmung unseres Zeitalters,
nicht aus den ideenbildenden und ideenschauen-
den Kräften zu leben, sondern unsere Verbin-
dung mit der Erde neu festzustellen. Darum
muß unsere Ausdrucksweise bis auf weiteres
Wege gehen, die von der Allegorie und der ihr
zugehörigen Geisteslage wegführen. ... w. m.
ANDRE UTTER—PARIS. GEMÄLDE »STILLEBEN«
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