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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 62.1928

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Born, Wolfgang: Idyllen von heute: Die Malerei des Wieners Ernst Huber
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https://doi.org/10.11588/diglit.9251#0023

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ERNST HUBEK—WIEN

GEMÄLDE »DORF-EINGANG«

IDYLLEN VON HEUTE
DIE MALEREI DES WIENERS ERNST HUBER

VON WOLFGAKG BORN

Fin de siede", das Losungswort einer Gene-
ration, für die Verfeinerung alles, Gesund-
heit nichts bedeutete, deckte sich mit einem
künstlerischen Bekenntnis zur Großstadt, als
dem überwältigenden Erlebnis des modernen
Menschen. Hineingestellt in den flimmernden
Trubel der neuen Welt von Asphalt, Elektrizität,
Hast und Lärm, ausgeliefert den Sensationen
künstlich erhellter Nächte, wurde der Künstler
— vordem abseitiger Träumer der Stille ■—
zum Nervenmenschen, zum differenzierten Kün-
der extremer psychischer Grenzzustände. Über-
wach, überreizt, dehnte die Seele ihr Bereich
ins Niebetretene aus, die „Sympathie mit dem
Tode" (um das tiefe Wort Thomas Manns zu
gebrauchen) wurde zum Grundtrieb der Pro-
duktion. Verfall, Decadence galt als Ehrentitel
der schöpferischen Persönlichkeit.

Und wirklich: unvergeßlich bleibt die hin-
reißende Melodie des Abgrundes, die den Wer-
ken dieses Jahrzehnts zu eigen ist, und nirgends

fand sie überzeugenderen Ausdruck als in Wien,
dem Wien der Jahrhundertwende, in dem sich
die alte Kultur Europas, vom Gemisch wider-
sprechendster Rassen getragen, noch einmal
glanzvoll entzündete.

Großstadtkunst das ist Gustav Klimt, dessen
magische Ornamentik die sensitiven Körper sei-
ner wissenden Frauen umrankt, das ist Egon
Schiele, der Fanatiker der Linie, der mit zucken-
der Kontur die böse Lust der jagenden Sinne
auffängt, das ist der frühe Oskar Kokoschka, der
malende Psychoanalytiker, vor dessen Blick die
Maske der Persönlichkeit zerbröckelt und ihre
letzte Tiefe preisgibt. . .

All das war — und ist unwiederbringlich;
ein neues Europa, aus dem Zusammenbruch sich
allmählich hinauf tastend, stellt andere Probleme,
primitivere, wenn man will, aber brennend und
unausweichlich: es bandelt sich um nichts ge-
ringeres als um die Lebensfrage der Menschheit,
um die Regeneration der geschändeten Seele.

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XXXI. April 1928. 2
 
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