R. H. GEVER-KAACK—J1ERI.IN
»AUS EINEM WINTERGARTEN«
WANDBEMALUNGEN VON RUTH HILDEGARD GEYER-RAACK
Zu jeder Zeit ist die Kunst, auch die Woh-
nungskunst, von einer grundsätzlichen,
programmatischen Gedankenarbeit begleitet.
Was man „Geschmacks wandlungen" nennt, sind
im Grunde Gedankenwandlungen, d h. Wand-
lungen der als verpflichtend geltendenProgramm-
sätze, Forderungen od. grundlegenden Anschau-
ungen. Zu einer Zeit, die nicht lange hinter uns
liegt, galt Holz nur dann als holzgemäß behan-
delt, wenn die Struktur des Holzes, die Maser-
ung, klar hervortrat. Bald darauf aber fand
man, daß auch das Lackieren, das die Maserung
völlig zudeckt, dem Holz durchaus angemessen
sei, und so überzog man die Tür- und Möbel-
flächen mit einerdichten, undurchsichtigen Farb-
schicht. Man kann diesen Wechsel der grund-
legenden Anschauungen als einen der Kunst-
griffe ansehen, deren sich die Geschichte bedient,
um die Menschheit nicht in Stagnation versinken
zu lassen, um die Freude am Schaffen wach-
zuhalten und die verschiedenen Möglichkeilen,
eine Sache zu behandeln, nacheinander hervor-
zutreiben.
So haben auch die Anschauungen über die
Wandgestaltung in den letzten Jahrzehnten
mancherlei Wandlungen durchgemacht und sind
noch andauernd im Fluß. Eine Zeitlang galt
nur eine solche Wandbehandlung für zulässig,
die die Wand als klare, unzweideutige Fläche
bestehen ließ. Wand hatte Wand zu sein, kein
Blumengitter, keine Landschaft; jede Illusion
einer Raumtiefe war verpönt. Das hat bekannt-
lich neuerdings zu jenen radikalen Anschau-
ungen über Wandbehandlung geführt, die sogar
den flächenhaften Schmuck der Wand, wie ihn
eine schöne Tapete bietet, glaubten ablehnen
zu müssen. Es trat eine Tendenz zur nackten,
kahlen, höchstens einfarbigen Wand hervor, die
nicht einmal vonDingen desRaums überschnitten
werden durfte. Der ernsten Denkweise, die zu
diesem Ergebnis geführt hat, ist eine gewisse
Berechtigung sicherlich nicht abzusprechen.
Aber es ist gefährlich und verarmend, aus der
Tendenz zur glatten kahlen Wand (die in vielen
Fällen natürlich ein sehr wohltuender Raum-
faktor sein kann) ein einseitiges System machen
zu wollen. Und es ist ein ganz folgerichtiger
Weg eines Teils der heutigen Malerei, wenn sie,
sich einfügend in die neuen Forderungen der
Innenarchitektur, zur flächigen, malerischen Be-
handlung der ganzen Wand schreitet.
Diesen Weg wählt auch die Malerin Ruth
Hildegard Geyer-Raack, der die hier vor-
liegende Veröffentlichung gewidmet ist. Die
253
XXKI. Juli 1928. 6
»AUS EINEM WINTERGARTEN«
WANDBEMALUNGEN VON RUTH HILDEGARD GEYER-RAACK
Zu jeder Zeit ist die Kunst, auch die Woh-
nungskunst, von einer grundsätzlichen,
programmatischen Gedankenarbeit begleitet.
Was man „Geschmacks wandlungen" nennt, sind
im Grunde Gedankenwandlungen, d h. Wand-
lungen der als verpflichtend geltendenProgramm-
sätze, Forderungen od. grundlegenden Anschau-
ungen. Zu einer Zeit, die nicht lange hinter uns
liegt, galt Holz nur dann als holzgemäß behan-
delt, wenn die Struktur des Holzes, die Maser-
ung, klar hervortrat. Bald darauf aber fand
man, daß auch das Lackieren, das die Maserung
völlig zudeckt, dem Holz durchaus angemessen
sei, und so überzog man die Tür- und Möbel-
flächen mit einerdichten, undurchsichtigen Farb-
schicht. Man kann diesen Wechsel der grund-
legenden Anschauungen als einen der Kunst-
griffe ansehen, deren sich die Geschichte bedient,
um die Menschheit nicht in Stagnation versinken
zu lassen, um die Freude am Schaffen wach-
zuhalten und die verschiedenen Möglichkeilen,
eine Sache zu behandeln, nacheinander hervor-
zutreiben.
So haben auch die Anschauungen über die
Wandgestaltung in den letzten Jahrzehnten
mancherlei Wandlungen durchgemacht und sind
noch andauernd im Fluß. Eine Zeitlang galt
nur eine solche Wandbehandlung für zulässig,
die die Wand als klare, unzweideutige Fläche
bestehen ließ. Wand hatte Wand zu sein, kein
Blumengitter, keine Landschaft; jede Illusion
einer Raumtiefe war verpönt. Das hat bekannt-
lich neuerdings zu jenen radikalen Anschau-
ungen über Wandbehandlung geführt, die sogar
den flächenhaften Schmuck der Wand, wie ihn
eine schöne Tapete bietet, glaubten ablehnen
zu müssen. Es trat eine Tendenz zur nackten,
kahlen, höchstens einfarbigen Wand hervor, die
nicht einmal vonDingen desRaums überschnitten
werden durfte. Der ernsten Denkweise, die zu
diesem Ergebnis geführt hat, ist eine gewisse
Berechtigung sicherlich nicht abzusprechen.
Aber es ist gefährlich und verarmend, aus der
Tendenz zur glatten kahlen Wand (die in vielen
Fällen natürlich ein sehr wohltuender Raum-
faktor sein kann) ein einseitiges System machen
zu wollen. Und es ist ein ganz folgerichtiger
Weg eines Teils der heutigen Malerei, wenn sie,
sich einfügend in die neuen Forderungen der
Innenarchitektur, zur flächigen, malerischen Be-
handlung der ganzen Wand schreitet.
Diesen Weg wählt auch die Malerin Ruth
Hildegard Geyer-Raack, der die hier vor-
liegende Veröffentlichung gewidmet ist. Die
253
XXKI. Juli 1928. 6