Wandbemalungen von Ruth Hildegard Geyer-Raack
R. H. GEYER-RAACK—BERLIN
Themen zu diesen Malereien sind verschieden-
ster Art: landschaftliche, figürliche, auch ganz
flächenhafte und abstrakte. Aber sie lassen die
Wand als Wand bestehen, sie springen keines-
wegs in den Raum hinein. Einige von ihnen,
Träume von Landschaften, ziehen einen fernen,
lyrischen Schein von hochragenden Palmen, von
exotischen Gewächsen, Blumen und Vögeln,
von heiteren Szenen besonnten Insellebens über
die Fläche. Und sie haben das psychologische Er-
gebnis für sich: hohe, aus schwingende Linien,
etwa von Palmen, stimmen eben tatsächlich
(ganz abseits von programmatischen und ge-
schmacklichen Fragen) die Seele etwas nach sich,
und raumgebende Farben geben ein Gefühl, das
eben nur ihnen entspricht. Ich besuchte früher
häufig eine italienische Osteria in einer süd-
deutschen Stadt. Da war rings auf die vier
Wände in einer passablen dekorativen Manier
eine Landschaft nach Neapeler Motiven aufge-
malt. Man fand diese Idee zwar „kitschig",
aber es ließ sich nicht leugnen, daß sich aus
dem ganzen Arrangement doch ein gewisses
Gefühl der Freiheit, eine Verminderung der Ein-
geschlossenheits - Empfindung ergab. Unsere
Seele ist ja bekanntlich so empfindsam geartet,
»WANDMALEREI IM DAMENZIMMER«
daß sie auf die geringsten Stichworte reagiert,
auch wenn der Verstand feststellt: Es ist nichts
da außer ein bißchen Farbe. Wir werden das
besser verstehen, wenn wir hören, wie einem
Menschen, der unter der Wirkung gewisser Alka-
loide steht, eine simple Blumentapete zu einem
prächtigen, üppigen Garten, ja zu einem dicht-
verschlungenen Walde wird, in dem sich die
Einbildungskraft mit Lust ergeht und der ihr
hundert Abenteuer von Sensationen spendet.
Das Rauschmittel verstärkt in solchen Fällen
nur eine Wirkung, die in ganz blasser Andeu-
tung auch im nüchternen Zustande vielfach ge-
geben sein muß.
Das ist die psychologische Grundlage für
einen Wandschmuck, wie ihn unsre Künstlerin
erschafft. Es wird der Phantasie ein beleben-
der Antrieb gegeben, der zum Teil im Motiv
begründet liegt und der doch dann, wenn die
virileren Kräfte des Geistes in Aktion treten,
zurückgedrängt werden kann. Der Raum mit
seinen körperhaften Möbeln ist eine Landschaft;
die Wand ist dieser Landschaft Horizont, Him-
mel oder Hintergrund. So faßt es Ruth Geyer-
Raack in ihren Wandmalereien; und sie läßt
aus diesem Horizont Gestalten quellen, die nur
263
XXXI. Juli 1928. 7
R. H. GEYER-RAACK—BERLIN
Themen zu diesen Malereien sind verschieden-
ster Art: landschaftliche, figürliche, auch ganz
flächenhafte und abstrakte. Aber sie lassen die
Wand als Wand bestehen, sie springen keines-
wegs in den Raum hinein. Einige von ihnen,
Träume von Landschaften, ziehen einen fernen,
lyrischen Schein von hochragenden Palmen, von
exotischen Gewächsen, Blumen und Vögeln,
von heiteren Szenen besonnten Insellebens über
die Fläche. Und sie haben das psychologische Er-
gebnis für sich: hohe, aus schwingende Linien,
etwa von Palmen, stimmen eben tatsächlich
(ganz abseits von programmatischen und ge-
schmacklichen Fragen) die Seele etwas nach sich,
und raumgebende Farben geben ein Gefühl, das
eben nur ihnen entspricht. Ich besuchte früher
häufig eine italienische Osteria in einer süd-
deutschen Stadt. Da war rings auf die vier
Wände in einer passablen dekorativen Manier
eine Landschaft nach Neapeler Motiven aufge-
malt. Man fand diese Idee zwar „kitschig",
aber es ließ sich nicht leugnen, daß sich aus
dem ganzen Arrangement doch ein gewisses
Gefühl der Freiheit, eine Verminderung der Ein-
geschlossenheits - Empfindung ergab. Unsere
Seele ist ja bekanntlich so empfindsam geartet,
»WANDMALEREI IM DAMENZIMMER«
daß sie auf die geringsten Stichworte reagiert,
auch wenn der Verstand feststellt: Es ist nichts
da außer ein bißchen Farbe. Wir werden das
besser verstehen, wenn wir hören, wie einem
Menschen, der unter der Wirkung gewisser Alka-
loide steht, eine simple Blumentapete zu einem
prächtigen, üppigen Garten, ja zu einem dicht-
verschlungenen Walde wird, in dem sich die
Einbildungskraft mit Lust ergeht und der ihr
hundert Abenteuer von Sensationen spendet.
Das Rauschmittel verstärkt in solchen Fällen
nur eine Wirkung, die in ganz blasser Andeu-
tung auch im nüchternen Zustande vielfach ge-
geben sein muß.
Das ist die psychologische Grundlage für
einen Wandschmuck, wie ihn unsre Künstlerin
erschafft. Es wird der Phantasie ein beleben-
der Antrieb gegeben, der zum Teil im Motiv
begründet liegt und der doch dann, wenn die
virileren Kräfte des Geistes in Aktion treten,
zurückgedrängt werden kann. Der Raum mit
seinen körperhaften Möbeln ist eine Landschaft;
die Wand ist dieser Landschaft Horizont, Him-
mel oder Hintergrund. So faßt es Ruth Geyer-
Raack in ihren Wandmalereien; und sie läßt
aus diesem Horizont Gestalten quellen, die nur
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XXXI. Juli 1928. 7