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11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
selbständiger Meister. Die Laufbahn des Historienmalers lag erfolg-
sicher vor ihm; keiner von den Norwegern hat sich so feinfühlig
wie er in das Studium der alten Meister, besonders der Venezianer,
versenkt, und als die Stunde des Exodus aus München schlug, da
wandte er sich (1879) nicht nach Paris, sondern nach Italien, das
er dann eine Reihe von Jahren hintereinander aufgesucht hat.
Allein es waren nicht die Galerien, die ihn dort lockten: er war sich
darüber klar geworden, daß seine Kunst Gefahr lief, zu einem
Pasticcio klassischer Malerei zu entarten. Er setzte sich an Motive
der italienischen Landschaft und des Volkslebens und bildete sich
an ihnen auf seine Weise zum Freiluftmaler aus; er bewahrte so
seiner Farbe den starken, tiefen, warmen Klang und schmolz alte
Malkultur in moderne Auffassung ein. In der Bildnisstudie der
„Magnhild“ ist der Altersverfall rücksichtslos gezeichnet, aber der
stumpfblauen Jacke und der weißen Haube, der wächsernen Ge-
sichtsfarbe und den geröteten Augen entlockt Peterssen eine milde
Harmonie, die den Kopf der Greisin mit einer herbstartigen Schön-
heit verklärt. Der Mensch interessiert ihn vielleicht mehr noch
als die Landschaft. Schon in der Münchener Zeit setzt die Reihe
seiner Charakterbildnisse mit dem noblen, von Leibi beeinflußten
vornehmen Porträt von Frau Gran ein; es folgten die flotten und geist-
vollen Künstlerbildnisse von Heyerdahl und Kalle Lochen; später
hat er Alexander Kielland in voller Figur und in all seiner koketten
Eleganz, sehr sprechend in Umriß und Haltung, und Arne Garborgs
vergrübelten Bauernkopf gemalt. In Bildern wie „Mutter Utne“
und dem seiner Mutter hat er wohl als erster für die Darstellung
des Menschen im Innenraum die norwegische Form geschaffen, die
später von anderen Künstlern aufgenommen und fortgebildet wor-
den ist. Sie gibt nicht, wie die dänische Malerei, das in sich ab-
geschlossene Heim, eine Kleinwelt alternder und verzärtelter Kul-
tur, die ein feines Licht zu gedämpftem Leben aufweckt — sie läßt
durch breite Fenster den sommerlichen Garten, den Hof oder die
See ins Zimmer schauen, der Wind regt die Gardine, starkes Licht
durchströmt den Raum, der Hausrat, die Blumen am Fenster prangen
in reicher Farbe: es ist ein Heim voll frischen breiten sonnigen Lebens,
das, von der Natur erfüllt, selbst zu etwas Naturhaftem wird.
11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
selbständiger Meister. Die Laufbahn des Historienmalers lag erfolg-
sicher vor ihm; keiner von den Norwegern hat sich so feinfühlig
wie er in das Studium der alten Meister, besonders der Venezianer,
versenkt, und als die Stunde des Exodus aus München schlug, da
wandte er sich (1879) nicht nach Paris, sondern nach Italien, das
er dann eine Reihe von Jahren hintereinander aufgesucht hat.
Allein es waren nicht die Galerien, die ihn dort lockten: er war sich
darüber klar geworden, daß seine Kunst Gefahr lief, zu einem
Pasticcio klassischer Malerei zu entarten. Er setzte sich an Motive
der italienischen Landschaft und des Volkslebens und bildete sich
an ihnen auf seine Weise zum Freiluftmaler aus; er bewahrte so
seiner Farbe den starken, tiefen, warmen Klang und schmolz alte
Malkultur in moderne Auffassung ein. In der Bildnisstudie der
„Magnhild“ ist der Altersverfall rücksichtslos gezeichnet, aber der
stumpfblauen Jacke und der weißen Haube, der wächsernen Ge-
sichtsfarbe und den geröteten Augen entlockt Peterssen eine milde
Harmonie, die den Kopf der Greisin mit einer herbstartigen Schön-
heit verklärt. Der Mensch interessiert ihn vielleicht mehr noch
als die Landschaft. Schon in der Münchener Zeit setzt die Reihe
seiner Charakterbildnisse mit dem noblen, von Leibi beeinflußten
vornehmen Porträt von Frau Gran ein; es folgten die flotten und geist-
vollen Künstlerbildnisse von Heyerdahl und Kalle Lochen; später
hat er Alexander Kielland in voller Figur und in all seiner koketten
Eleganz, sehr sprechend in Umriß und Haltung, und Arne Garborgs
vergrübelten Bauernkopf gemalt. In Bildern wie „Mutter Utne“
und dem seiner Mutter hat er wohl als erster für die Darstellung
des Menschen im Innenraum die norwegische Form geschaffen, die
später von anderen Künstlern aufgenommen und fortgebildet wor-
den ist. Sie gibt nicht, wie die dänische Malerei, das in sich ab-
geschlossene Heim, eine Kleinwelt alternder und verzärtelter Kul-
tur, die ein feines Licht zu gedämpftem Leben aufweckt — sie läßt
durch breite Fenster den sommerlichen Garten, den Hof oder die
See ins Zimmer schauen, der Wind regt die Gardine, starkes Licht
durchströmt den Raum, der Hausrat, die Blumen am Fenster prangen
in reicher Farbe: es ist ein Heim voll frischen breiten sonnigen Lebens,
das, von der Natur erfüllt, selbst zu etwas Naturhaftem wird.