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11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
geleitet, von einem klaren kühlen Verstände geregelt, von wacher
Selbstkritik gezügelt. Keiner verstand es, künstlerische Ziele so
bestimmt und so überzeugend zu formulieren, wie er, und keiner
strebte den einmal erkannten mit so viel planmäßiger Beharrlich-
keit nach. So war er schon in München das künstlerische Gewissen
der Kolonie: so wurde er die eigentliche Mittelpunktsgestalt der
norwegischen Kunst besonders der achtziger Jahre. In seinem un-
erschütterlichen Sinne für das Wirkliche, in seiner Empfindlichkeit
gegen alles Gemachte und Unwahre, in seinem Mißtrauen gegen die
freien Flüge der Phantasie hat sich der norwegische Naturalismus
in seinen Stärken wie in seiner Begrenzung am reinsten ausgeprägt.
Er brauchte nicht erst Naturalist zu werden, er war geborener
Naturalist; schon in München malte er Landschaft und Modell in
freier Luft, steckte er voller Opposition gegen die akademische
Ateliermalerei. In Paris suchte und fand er dann die Bestätigung
seiner künstlerischen Persönlichkeit, und mit der ihm eigenen Be-
harrlichkeit hat er sich mit der französischen Malerei auseinander-
gesetzt. Die Telemarkenbilder der achtziger Jahre zeigen noch den
feinen Dunstschleier der französischen Schule über der frischgrünen
Landschaft, aber dann findet er sich immer freier und sicherer in
den Stil der norwegischen Natur, bereichert seine Palette durch
behutsame Aufnahme impressionistischer Elemente und nimmt
schließlich, wie in dem Lysaker- und dem Christianiafjord, von dem
jüngeren Malergeschlechte selbst eine gewisse dekorative Haltung
auf. Werenskiold liebt es, den Menschen in der Natur darzustellen.
Frauen lagern auf grünem Hange, Mädchen lehnen am Zaune, ein
Mann führt sein Pferd über die Wiese, zwischen ruhenden Kindern
spielt die Sonne. Seltener wagt er sich an figurenreiche Komposi-
tionen; sein „Bauernbegräbnis“ von 1885 wurde nicht nur in Nor-
wegen, sondern auch bei der Ausstellung in Deutschland als Muster-
stück des Freiluftnaturalismus anerkannt und bewundert. In
seinem Schaffen nimmt das Bildnis eine beträchtliche und aus-
gezeichnete Stellung ein, und auch hier hat er zuweilen die Natur
hineingewoben. In breit ausladender Haltung blickt Björnson, voll
vom Selbstgefühle eines Volkshäuptlings, von der Veranda seines
Hauses in die sommerleuchtende Gudbrandsdöler Landschaft, wäh-
11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
geleitet, von einem klaren kühlen Verstände geregelt, von wacher
Selbstkritik gezügelt. Keiner verstand es, künstlerische Ziele so
bestimmt und so überzeugend zu formulieren, wie er, und keiner
strebte den einmal erkannten mit so viel planmäßiger Beharrlich-
keit nach. So war er schon in München das künstlerische Gewissen
der Kolonie: so wurde er die eigentliche Mittelpunktsgestalt der
norwegischen Kunst besonders der achtziger Jahre. In seinem un-
erschütterlichen Sinne für das Wirkliche, in seiner Empfindlichkeit
gegen alles Gemachte und Unwahre, in seinem Mißtrauen gegen die
freien Flüge der Phantasie hat sich der norwegische Naturalismus
in seinen Stärken wie in seiner Begrenzung am reinsten ausgeprägt.
Er brauchte nicht erst Naturalist zu werden, er war geborener
Naturalist; schon in München malte er Landschaft und Modell in
freier Luft, steckte er voller Opposition gegen die akademische
Ateliermalerei. In Paris suchte und fand er dann die Bestätigung
seiner künstlerischen Persönlichkeit, und mit der ihm eigenen Be-
harrlichkeit hat er sich mit der französischen Malerei auseinander-
gesetzt. Die Telemarkenbilder der achtziger Jahre zeigen noch den
feinen Dunstschleier der französischen Schule über der frischgrünen
Landschaft, aber dann findet er sich immer freier und sicherer in
den Stil der norwegischen Natur, bereichert seine Palette durch
behutsame Aufnahme impressionistischer Elemente und nimmt
schließlich, wie in dem Lysaker- und dem Christianiafjord, von dem
jüngeren Malergeschlechte selbst eine gewisse dekorative Haltung
auf. Werenskiold liebt es, den Menschen in der Natur darzustellen.
Frauen lagern auf grünem Hange, Mädchen lehnen am Zaune, ein
Mann führt sein Pferd über die Wiese, zwischen ruhenden Kindern
spielt die Sonne. Seltener wagt er sich an figurenreiche Komposi-
tionen; sein „Bauernbegräbnis“ von 1885 wurde nicht nur in Nor-
wegen, sondern auch bei der Ausstellung in Deutschland als Muster-
stück des Freiluftnaturalismus anerkannt und bewundert. In
seinem Schaffen nimmt das Bildnis eine beträchtliche und aus-
gezeichnete Stellung ein, und auch hier hat er zuweilen die Natur
hineingewoben. In breit ausladender Haltung blickt Björnson, voll
vom Selbstgefühle eines Volkshäuptlings, von der Veranda seines
Hauses in die sommerleuchtende Gudbrandsdöler Landschaft, wäh-