11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
79
rend Ibsen, von der Wirklichkeit gelöst, als der graue Alte vom
Berge in steilem strengem Umrisse vor eine kalte, weißgraue Fläche
gestellt ist. Vor dem verlorenen Blicke der Pianistin Erika Lie
Nissen versinkt das Instrument in die einströmende Wald- und
Seelandschaft. Andere Maler dieser Gruppe sind feiner differenziert,
wärmer und impulsiver im Temperament, gepflegter und sicherer
in der Farbengebung, aber Werenskiolds Kunst besitzt die zäheste
Bodenkraft; es kennzeichnet sie ein hoher und strenger Ernst in
der Auffassung der Natur wie in der Behandlung der künstlerischen
Probleme; er gehört zu jenen vornehmen Persönlichkeiten, die in
einer sich rein in die Erscheinungen versenkenden Sachlichkeit ihre
Erfüllung finden.
Aber allem, was an Phantasie, an Humor, an warmem Gefühle
auf dem Grunde seines reichen Wesens spielt, hat er in den Zeich-
nungen zu den norwegischen Volksmärchen freien Lauf gegönnt,
und darum sind sie sein persönlichstes Werk geworden.
An der Illustration jener von Asbjörnsen und Moe gesammelten
Volksmärchen, in denen ein derber Wirklichkeitssinn und ein ba-
rocker Humor das Phantastische und Spukhafte genial mit dem
täglichen Leben zu verbinden weiß, hat sich von Tidemand und
Gude an eine stattliche Reihe der besten norwegischen Künstler,
zum Teil mit glücklichem Erfolge, versucht. Aber Werenskiold hat
sie alle durch die malerische Freiheit und die lebendige persönliche
Handschrift seiner Zeichnungen übertroffen, und er hat auch in
der Auffassung etwas Neues gebracht. Er hat, wie treffend gesagt
worden ist, die Märchen mit den Augen des Bauern gesehen, aus
dessen Phantasie sie geboren sind. Er stellt sie ganz in ihre natür-
liche Welt: da ist der Bauernhof, das Feld, der Wald, und da sind
Bauern — nicht Sonntagsbauern der Düsseldorfer, sondern aus der
Wirklichkeit geholtes derbes pfiffiges Bauernvolk. Da sind die
heimatlichen Tiere: Pferd und Schwein, Hund und Hahn, Fuchs
und Bär. Der König ist ein biederer dicker Hausvater mit Krone
und Szepter, und der Troll ein ungeschlachtes dummes Wald- und
Bergtier mit rüsselhafter Nase, bleckenden Zähnen und Augen wie
Lampen. Immer ist die Situation bildhaft in einen vertrauten und
übersichtlichen Vorstellungskreis eingestellt, das Unwirkliche selbst
79
rend Ibsen, von der Wirklichkeit gelöst, als der graue Alte vom
Berge in steilem strengem Umrisse vor eine kalte, weißgraue Fläche
gestellt ist. Vor dem verlorenen Blicke der Pianistin Erika Lie
Nissen versinkt das Instrument in die einströmende Wald- und
Seelandschaft. Andere Maler dieser Gruppe sind feiner differenziert,
wärmer und impulsiver im Temperament, gepflegter und sicherer
in der Farbengebung, aber Werenskiolds Kunst besitzt die zäheste
Bodenkraft; es kennzeichnet sie ein hoher und strenger Ernst in
der Auffassung der Natur wie in der Behandlung der künstlerischen
Probleme; er gehört zu jenen vornehmen Persönlichkeiten, die in
einer sich rein in die Erscheinungen versenkenden Sachlichkeit ihre
Erfüllung finden.
Aber allem, was an Phantasie, an Humor, an warmem Gefühle
auf dem Grunde seines reichen Wesens spielt, hat er in den Zeich-
nungen zu den norwegischen Volksmärchen freien Lauf gegönnt,
und darum sind sie sein persönlichstes Werk geworden.
An der Illustration jener von Asbjörnsen und Moe gesammelten
Volksmärchen, in denen ein derber Wirklichkeitssinn und ein ba-
rocker Humor das Phantastische und Spukhafte genial mit dem
täglichen Leben zu verbinden weiß, hat sich von Tidemand und
Gude an eine stattliche Reihe der besten norwegischen Künstler,
zum Teil mit glücklichem Erfolge, versucht. Aber Werenskiold hat
sie alle durch die malerische Freiheit und die lebendige persönliche
Handschrift seiner Zeichnungen übertroffen, und er hat auch in
der Auffassung etwas Neues gebracht. Er hat, wie treffend gesagt
worden ist, die Märchen mit den Augen des Bauern gesehen, aus
dessen Phantasie sie geboren sind. Er stellt sie ganz in ihre natür-
liche Welt: da ist der Bauernhof, das Feld, der Wald, und da sind
Bauern — nicht Sonntagsbauern der Düsseldorfer, sondern aus der
Wirklichkeit geholtes derbes pfiffiges Bauernvolk. Da sind die
heimatlichen Tiere: Pferd und Schwein, Hund und Hahn, Fuchs
und Bär. Der König ist ein biederer dicker Hausvater mit Krone
und Szepter, und der Troll ein ungeschlachtes dummes Wald- und
Bergtier mit rüsselhafter Nase, bleckenden Zähnen und Augen wie
Lampen. Immer ist die Situation bildhaft in einen vertrauten und
übersichtlichen Vorstellungskreis eingestellt, das Unwirkliche selbst