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11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
Das reinste romantische Temperament dieser Gruppe war Halfdan
Egedius (1877—1899). Man möchte ihn in manchem als norwegische
Parallelerscheinung zu dem Schweden Sager Nelson bezeichnen;
gleich diesem war auch ihm nur eine gar kurze Spanne Schaffenszeit
vergönnt. Sein Werk ist von starker seelischer Spannung erfüllt.
Gleich einer Vision taucht grell beleuchtet aus Dunkelheiten der
Kopf eines Geigers auf, der verloren in sein Spiel versunken ist;
Paare drehen sich steif im Tanze, wie vom Zwange einer fremden
Kraft bewegt; tiefe Farben geben dazu eine Musik von verhaltener
Leidenschaft — überhaupt ist ein starkes musikalisches Element
in seiner Kunst. Die Sommernatur blüht in milden Farben, ein
goldener Abendhimmel lodert, drohendes Wetter steht über der
Landschaft: das Hauptaugenmerk bildet nicht mehr, wie etwa bei
Werenskiold, die sachliche Schilderung der Erscheinungswelt, sondern
der Ausdruck des durch sie in Schwingung versetzten Gefühlslebens.
Thorvald Erichsen (geb. 1868) hingegen ist eine Persönlichkeit
von ausgeglichener sinnenfroher Heiterkeit. Seine Stärke liegt in
der Landschaft und im Innenbilde. Keiner der norwegischen Maler
hat den Impressionismus glücklicher zur Darstellung der norwe-
gischen Natur ausgenutzt als er; die lichterfüllte Freudigkeit seines
Waldbildes oder seine Telemarkenlandschaften erinnern an Slevoigt.
Ein neuer Charakter der Malerei wird erkennbar: der Pinselschlag
wird behender, die Formen lockern sich, die Farbe wird entkörpert,
leicht scheint sie über der Fläche zu schweben, nach und nach
gewinnt sie einen erlesenen blütenhaften Reiz und dichtet den
Naturausschnitt in eine kühl-lichte Lyrik um. Erichsen hat ein-
mal das Isaachsensche Motiv der Kleiderkammer gemalt: bei
Isaachsen ist der Raum und was ihn füllt von körperlicher Festig-
keit, gleichsam abtastbar, Erichsens Bild ist wie ein farbiger Ab-
glanz schöner Dinge in einem stillen klaren Wasser. Einen Farben-
lyriker kann man auch Oluf Wold Thorne (1867—1919) nennen. Er
kam vom Handwerke her, seine kunsthandwerklichen Arbeiten
zählen zu den reifsten Schöpfungen der norwegischen dekorativen
Kunst, und auch seine Bilder bewahren eine anmutige dekorative
Haltung. Er hat Landschaften und Bildnisse gemalt, aber am glück-
lichsten war er in seinen Blumenstücken, die von einer zarten Liebe
11. Durchbruch und Neuromantik in Norwegen
Das reinste romantische Temperament dieser Gruppe war Halfdan
Egedius (1877—1899). Man möchte ihn in manchem als norwegische
Parallelerscheinung zu dem Schweden Sager Nelson bezeichnen;
gleich diesem war auch ihm nur eine gar kurze Spanne Schaffenszeit
vergönnt. Sein Werk ist von starker seelischer Spannung erfüllt.
Gleich einer Vision taucht grell beleuchtet aus Dunkelheiten der
Kopf eines Geigers auf, der verloren in sein Spiel versunken ist;
Paare drehen sich steif im Tanze, wie vom Zwange einer fremden
Kraft bewegt; tiefe Farben geben dazu eine Musik von verhaltener
Leidenschaft — überhaupt ist ein starkes musikalisches Element
in seiner Kunst. Die Sommernatur blüht in milden Farben, ein
goldener Abendhimmel lodert, drohendes Wetter steht über der
Landschaft: das Hauptaugenmerk bildet nicht mehr, wie etwa bei
Werenskiold, die sachliche Schilderung der Erscheinungswelt, sondern
der Ausdruck des durch sie in Schwingung versetzten Gefühlslebens.
Thorvald Erichsen (geb. 1868) hingegen ist eine Persönlichkeit
von ausgeglichener sinnenfroher Heiterkeit. Seine Stärke liegt in
der Landschaft und im Innenbilde. Keiner der norwegischen Maler
hat den Impressionismus glücklicher zur Darstellung der norwe-
gischen Natur ausgenutzt als er; die lichterfüllte Freudigkeit seines
Waldbildes oder seine Telemarkenlandschaften erinnern an Slevoigt.
Ein neuer Charakter der Malerei wird erkennbar: der Pinselschlag
wird behender, die Formen lockern sich, die Farbe wird entkörpert,
leicht scheint sie über der Fläche zu schweben, nach und nach
gewinnt sie einen erlesenen blütenhaften Reiz und dichtet den
Naturausschnitt in eine kühl-lichte Lyrik um. Erichsen hat ein-
mal das Isaachsensche Motiv der Kleiderkammer gemalt: bei
Isaachsen ist der Raum und was ihn füllt von körperlicher Festig-
keit, gleichsam abtastbar, Erichsens Bild ist wie ein farbiger Ab-
glanz schöner Dinge in einem stillen klaren Wasser. Einen Farben-
lyriker kann man auch Oluf Wold Thorne (1867—1919) nennen. Er
kam vom Handwerke her, seine kunsthandwerklichen Arbeiten
zählen zu den reifsten Schöpfungen der norwegischen dekorativen
Kunst, und auch seine Bilder bewahren eine anmutige dekorative
Haltung. Er hat Landschaften und Bildnisse gemalt, aber am glück-
lichsten war er in seinen Blumenstücken, die von einer zarten Liebe