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16. Ein Rückblick

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sucht hat, spielen in der norwegischen Malerei quantitativ eine
winzige, qualitativ eine nichtige Rolle. Für Menschen und Land-
schaften der Fremde findet sich nur gelegentlich einmal Interesse;
die norwegische Malerei bleibt gleich der der alten Holländer bei
sich zu Hause, und am liebsten bei sich auf dem Lande; gern sucht
sie den Bauern auf in seinem Heim oder in der Natur, vor allem aber
wird sie nie müde, die heimatliche Natur in der unerschöpflichen
Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungen und Stimmungen im Bilde
wiederzugeben. Dem naiven und reinen Verhältnisse zur Natur
verdankt sie ihren Ernst, ihre Wahrhaftigkeit und eine gewisse
herbe und keusche Freudigkeit. Auch ihr Verhältnis zur Form mag.
man insofern naiv nennen, als die Künstler ohne Umschweife auf
die unmittelbare Übersetzung des Gesichtsbildes ausgehen; sie sind
mißtrauisch gegen Idealisierung und Stilisierung. Im Zusammen-
hänge dieser Entwicklung betrachtet, erscheint Munch als revo-
lutionäre Persönlichkeit. Neue Formprobleme werden aufgestellt,,
die Beziehung zum Raume wird gesucht; der Mensch in Munchs
Werke trägt wohl nordische Prägung, aber es ist nicht mehr der
norwegische Bauer, sondern zuletzt doch der Mensch schlechthin
mit seinem Schicksal und seinem Leide. Und wenn gleichzeitig
Vigeland in der Bildnerei nach Form und Stoff verwandte Probleme
ergreift, so läßt das doch darauf schließen, daß in der geistigen Ver-
fassung der norwegischen Kunst bedeutende Verschiebungen vor
sich gehen, und daß sich ihr neue Horizonte erschließen. Wohin,
aber die Reise geht, darüber kann das bunte, von fremden Einflüssen
stark durchsetzte Bild der neuesten norwegischen Kunst noch keine
rechte Auskunft geben.
So verschieden aber schwedische und norwegische Kunst auch-
sind: beide erwecken eben dadurch und verdienen darum Interesse,,
weil sich in ihnen scharfgeschnittene Volksindividualitäten spiegeln,,
die den Drang und die Fähigkeit besitzen, sich mit den Aufgaben
der Kunst aus den ihnen eingeborenen Bedürfnissen und Kräften,
auf eigene Art auseinanderzusetzen. Und da beide Völker in einem
Reichtume schöner Talente blühen, so darf wohl damit gerechnet,
werden, daß sie in der Kunst des 20. Jahrhunderts ein Wort mit-
zusprechen haben werden.
 
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