CG Das
„jtcin Wort, mein Sohn, ich gehe mit Dir in's gramen,
ich muß mich selbst davon überzeugen, ob Du etwas gelernt
hast, und ein Spielball der Bosheit bist, oder nicht. In jedem
Falle steht mein. Entschluß fest."
„Aber Vater, wirst Du mich nicht stören und —"
„Nein, mein Sohn, dein Vater kann und wird Dich nicht
stören, ich werde mich so stellen, daß du mich nicht sehen kannst
und hast Du etwas gelernt, so kann es Dir nur lieb jein,
wenn es auch Dein Vater mir hört. Kurz und mit einem
Worte, ich gehe mit Dir!"
ES wäre vergeblich gewesen, einen weiter» Versuch zu
mache», um den Alten von seinem Vorhaben abzubringen, denn
Heinrich kannte besten eisenfesten Charakter nur zu gut, auch
wußte er daß, je »ach dem Ausfall, irgend
ein weiterer Entschluß bei dem Alten fest-
stand, und so langten Vater und Sohn zu-
sammen in der Hauptstadt an.
Ein bescheidener Gasthof nahm sie dort
auf und als am andern Tage die Stunde
herannahte, zu welcher die Prüfungen im
Consistorialgebäude beginnen sollten, da nahm
der Vater mit einem festen stummen Hände-
druck Abschied und verfügte sich in de» Zu-
hörerraum des Prüfungszimmers, der durch
eine Barriere von dem grünen Tische ge-
schieden war, an welchen mit dem Rücken
gegen die Zuschauer gewendet, die Candidaten,
und diesen gegenüber, mit dem Gesicht ge-
gen die Zuhörer gekehrt, bas Consistorium
Platz nehmen sollte. Der Schullehrer Sei-
farth war einer der ersten im Saale und postirte sich so,
daß er von Heinrich selbst beim Eintreten nicht bemerkt, aber
auch nicht süglich von seinem Platze verdrängt werden konnte.
Nach und nach füllte sich der Raum und wurde endlich zum
Erdrücken voll. Da erschienen die Candidaten aus dem Wart-
zimmer, acht an der Zahl, nahmen, angethan mit schwarzen
Fracks deS verschiedenartigsten Schnitts und mit der unvermeid-
lichen weißen Halsbinde, die hie und da nur sehr wenig von
der Gesichtsfarbe abstach, schweigend auf ihren Stühlen Platz
und hefteten ihre Blicke vorläufig auf das grüne Tuch, das
trotz der Farbe der Hoffnung, die es trug, für Manchen
unter Ihnen ein schauerlicher Anblick sein mochte. Der Heinrich
saß wieder an der Spitze der Candidaten, der Alte konnte nur
ei» einziges Mal einen kleinen Tbeil seines Profils erblicken
und da schien es ihm, als ob sich Ruhe und Ergebenheit auf
seinem Antlitze gelagert habe. DaS war ein Trost für den Alten.
Da that sich eine andere Thüre auf und herein traten
die Eraminatoren in der Amtstracht und ließen sich, fünf an
der Zahl, den Candidaten gegenüber in ruhiger Haltung, einen
flüchtigen Blick auf diese und die Zuhörer werfend, aus ihren
Lehnstühlen nieder. In der Mitte stand ein etwas erhöhter
Armstuhl für den Präsidenten — Heiliger, dreieiniger Gott!
hatte der alte Seifarth recht gesehen, oder hatte ein tückischer
boshafter Teufel sein Auge geblendet? Auf diesem Stuhle saß
Er amen.
kein anderer — als der Fremde, dem er de» Lueas Kranach
in der Kirche zu BoberSdorf gezeigt, der Fremde, gegen den
er de» Obereonsistorialrath in so schwarzer Farbe geschildert,
mit so allerliebsten Titeln belegt, der Ob ereonsiftorialrath
selbst. Es flirrte dem armen Alten vor den Augen, das
Eramen begann, er hörte kein Wort davon, er sah Niemand
mehr; der Angstschweiß tropfte ihm in der Größe von Perlen
wie die Haselnüsse von der Stirn und gern, gern hätte er den
Saal verlassen und wäre spornstreichs nach Bobersdorf zurück-
gelaufen, wenn die Menschenmauer hinter seinem Rücken zu
durchbrechen gewesen wäre. Wir müssen ihn einstweilen in
seiner bejammernswerthen Situation verlassen, von der, glück-
licher Weise, sein Sohn auch nicht die leiseste Ahnung hatte.
Der Obereonsistorialrath eröffnete die Handlung mit einer
kurzen, der Sache angemessenen Rede und begann sodann das
Eramen. Wenn er dem Heinrich dabei überhaupt eine» Blick
geschenkt hatte, so war eö ein wohlwollender gewesen, wenigstens
war eS dem Heinrich so vorgekommen, auch eröffnete er den
Reigen mit einem der Candidaten, die in der Mitte saßen,
ging dann zu dem zweiten, dem dritten, dem vierten über und erst
als dieser eine schiefe Antwort gab, wendete er sich mit den
Worten: „Das werden Sie mir vielleicht etwas ausführlicher
erklären!" an Heinrich, der dem Gange des Eramens mit der
größten Aufmerksamkeit gefolgt war, und jede Frage, die der
Obereonsistorialrath an die andern Candidaten gerichtet, in seinem
Geiste klar und bündig beantwortet hatte. Wohl war Heinrich
abermals wie vom Donner gerührt, wohl fühlte er, daß der
entscheidende Moment abermals und auf Nimmerwiederkehren
gekommen, aber ein Gedanke: Louise! genügte, um den alten
bösen Bann zu lösen und fern von jenem breiten, endlosen
Wortschwall, hinter dem die Unwissenheit ihre Blöße» zu ver-
berge» strebt, entwickelte Heinrich in seiner schlichten und ein-
fachen, aber festen und bestimmten Weise, welche bewieß, daß
man Meister des Stoffes ist, das, was der Fragende verlangt
hatte. Ein fast unmerkliches, aber beifälliges Nicken des Erami-
nanten verkündigte ihm dessen Zufriedenheit. Noch ein Mal
wendete sich der Obereonsistorialrath, als ein anderer Candidat
„jtcin Wort, mein Sohn, ich gehe mit Dir in's gramen,
ich muß mich selbst davon überzeugen, ob Du etwas gelernt
hast, und ein Spielball der Bosheit bist, oder nicht. In jedem
Falle steht mein. Entschluß fest."
„Aber Vater, wirst Du mich nicht stören und —"
„Nein, mein Sohn, dein Vater kann und wird Dich nicht
stören, ich werde mich so stellen, daß du mich nicht sehen kannst
und hast Du etwas gelernt, so kann es Dir nur lieb jein,
wenn es auch Dein Vater mir hört. Kurz und mit einem
Worte, ich gehe mit Dir!"
ES wäre vergeblich gewesen, einen weiter» Versuch zu
mache», um den Alten von seinem Vorhaben abzubringen, denn
Heinrich kannte besten eisenfesten Charakter nur zu gut, auch
wußte er daß, je »ach dem Ausfall, irgend
ein weiterer Entschluß bei dem Alten fest-
stand, und so langten Vater und Sohn zu-
sammen in der Hauptstadt an.
Ein bescheidener Gasthof nahm sie dort
auf und als am andern Tage die Stunde
herannahte, zu welcher die Prüfungen im
Consistorialgebäude beginnen sollten, da nahm
der Vater mit einem festen stummen Hände-
druck Abschied und verfügte sich in de» Zu-
hörerraum des Prüfungszimmers, der durch
eine Barriere von dem grünen Tische ge-
schieden war, an welchen mit dem Rücken
gegen die Zuschauer gewendet, die Candidaten,
und diesen gegenüber, mit dem Gesicht ge-
gen die Zuhörer gekehrt, bas Consistorium
Platz nehmen sollte. Der Schullehrer Sei-
farth war einer der ersten im Saale und postirte sich so,
daß er von Heinrich selbst beim Eintreten nicht bemerkt, aber
auch nicht süglich von seinem Platze verdrängt werden konnte.
Nach und nach füllte sich der Raum und wurde endlich zum
Erdrücken voll. Da erschienen die Candidaten aus dem Wart-
zimmer, acht an der Zahl, nahmen, angethan mit schwarzen
Fracks deS verschiedenartigsten Schnitts und mit der unvermeid-
lichen weißen Halsbinde, die hie und da nur sehr wenig von
der Gesichtsfarbe abstach, schweigend auf ihren Stühlen Platz
und hefteten ihre Blicke vorläufig auf das grüne Tuch, das
trotz der Farbe der Hoffnung, die es trug, für Manchen
unter Ihnen ein schauerlicher Anblick sein mochte. Der Heinrich
saß wieder an der Spitze der Candidaten, der Alte konnte nur
ei» einziges Mal einen kleinen Tbeil seines Profils erblicken
und da schien es ihm, als ob sich Ruhe und Ergebenheit auf
seinem Antlitze gelagert habe. DaS war ein Trost für den Alten.
Da that sich eine andere Thüre auf und herein traten
die Eraminatoren in der Amtstracht und ließen sich, fünf an
der Zahl, den Candidaten gegenüber in ruhiger Haltung, einen
flüchtigen Blick auf diese und die Zuhörer werfend, aus ihren
Lehnstühlen nieder. In der Mitte stand ein etwas erhöhter
Armstuhl für den Präsidenten — Heiliger, dreieiniger Gott!
hatte der alte Seifarth recht gesehen, oder hatte ein tückischer
boshafter Teufel sein Auge geblendet? Auf diesem Stuhle saß
Er amen.
kein anderer — als der Fremde, dem er de» Lueas Kranach
in der Kirche zu BoberSdorf gezeigt, der Fremde, gegen den
er de» Obereonsistorialrath in so schwarzer Farbe geschildert,
mit so allerliebsten Titeln belegt, der Ob ereonsiftorialrath
selbst. Es flirrte dem armen Alten vor den Augen, das
Eramen begann, er hörte kein Wort davon, er sah Niemand
mehr; der Angstschweiß tropfte ihm in der Größe von Perlen
wie die Haselnüsse von der Stirn und gern, gern hätte er den
Saal verlassen und wäre spornstreichs nach Bobersdorf zurück-
gelaufen, wenn die Menschenmauer hinter seinem Rücken zu
durchbrechen gewesen wäre. Wir müssen ihn einstweilen in
seiner bejammernswerthen Situation verlassen, von der, glück-
licher Weise, sein Sohn auch nicht die leiseste Ahnung hatte.
Der Obereonsistorialrath eröffnete die Handlung mit einer
kurzen, der Sache angemessenen Rede und begann sodann das
Eramen. Wenn er dem Heinrich dabei überhaupt eine» Blick
geschenkt hatte, so war eö ein wohlwollender gewesen, wenigstens
war eS dem Heinrich so vorgekommen, auch eröffnete er den
Reigen mit einem der Candidaten, die in der Mitte saßen,
ging dann zu dem zweiten, dem dritten, dem vierten über und erst
als dieser eine schiefe Antwort gab, wendete er sich mit den
Worten: „Das werden Sie mir vielleicht etwas ausführlicher
erklären!" an Heinrich, der dem Gange des Eramens mit der
größten Aufmerksamkeit gefolgt war, und jede Frage, die der
Obereonsistorialrath an die andern Candidaten gerichtet, in seinem
Geiste klar und bündig beantwortet hatte. Wohl war Heinrich
abermals wie vom Donner gerührt, wohl fühlte er, daß der
entscheidende Moment abermals und auf Nimmerwiederkehren
gekommen, aber ein Gedanke: Louise! genügte, um den alten
bösen Bann zu lösen und fern von jenem breiten, endlosen
Wortschwall, hinter dem die Unwissenheit ihre Blöße» zu ver-
berge» strebt, entwickelte Heinrich in seiner schlichten und ein-
fachen, aber festen und bestimmten Weise, welche bewieß, daß
man Meister des Stoffes ist, das, was der Fragende verlangt
hatte. Ein fast unmerkliches, aber beifälliges Nicken des Erami-
nanten verkündigte ihm dessen Zufriedenheit. Noch ein Mal
wendete sich der Obereonsistorialrath, als ein anderer Candidat
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Das Examen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 661, S. 66
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg