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Vetter Andres.

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auf. Vetter Andres war's, der im Schlafe dermaßen schnarchte,
daß Himmel und Erde davon zu beben schienen. Aber dafür
konnte er doch nicht, das ist offenbar; und es giebt weit bessere
Leute, die noch weit unleidlicher schnarchen. Ich habe einen
Schwager, der Unglaubliches darin leistet. Doch gut! Die
Frau Muhme könnt's aber nicht ertragen und rief: „Vetter
Andres! Vetter Andres!" Aber sie hätte müssen mit Zwölf-
pfündern sprechen, wenn sie hätte den Vetter Andres aufwecken
wollen, war er einmal sanft eingeschlafen. Aufstehen durfte
und konnte sie nicht, ihn zu rütteln und zu schütteln; so blieb
ihr nichts übrig, als bei ihm zu wachen. Glücklicher Weise
gewöhnt sich die geduldige Menschennatnr an Alles, selbst an
das Geräusch eines Schnarchers. So geschah's denn, daß sie,
nachdem sie sich ein bis zwei Stunden in halber Verzweiflung
im Bette herumgewälzt hatte, endlich doch wieder einschlief.
Nach einer Weile aber erivachte Vetter Andres und — blät-
terte mechanisch um, um weiter zu lesen; denn er ließ sich's
nicht nehmen, nur so eine halbe Minute lang eingenickt 511
sein; denn im Schlafe hat der Mensch keinen richtigen Maß-
stab für die Zeit. Doch hätte ihn allerdings die im Erlöschen
begriffene Lampe darüber belehren können, daß er etivas
länger als eine halbe Minute eingenickt sei. Er stand aus,
um draußen in der Küche frisches Oel ans die Lampe zu
gießen, schlich >vie eine Katze unhörbar durch's Zimmer, er-
griff in der Küche die Essigflasche und goß die Lampe voll.
Damals brannten nun die Lampen noch nicht, die man mit
Essig tränkte, vielleicht thun sie's auch heute noch nicht. Die
Lampe erlosch also unter Zischen und Sprudeln und Vetter
Andres mußte sich entschließen, ohne Lampe in das dunkle
Zimmer zurück zu kehren. O! diese Sorgfalt! diese zarte
Rücksicht! mit der er durch das dunkle Krankenzimmer schlich,
um die Frau Muhme nicht zu stören. Unglücklicher Weise
stand der Tisch mitten in seinem Wege, und er rannte un-
versehens so unsanft dagegen, daß der Tisch wackelte und er
selbst der Länge nach zu Boden fiel. Darüber erwachte die
Frau Muhme, richtete sich erschreckt auf und da sie das
Zimmer dunkel fand, rief sie: „Vetter Andres, warst Du
das?" Keine Antwort. Darüber ward sie ängstlich und rief
nochmals: „Vetter Andres, bist Du hier?" Wiederum Schweigen
des Todes um sie her. Nun richtete sie sich mühsam und
sich verlassen glaubend, hoch auf und zog wiederholt krampf-
haft an der Klingel, die zu der Magd Kammer führte. Diese
kam sofort mit brennendem Lichte aber in der Eile im Untcr-
röckchen herbei gestürzt und nun ergab sich's, daß Vetter
Andres wohlgemuth und sich das Schienbein reibend auf dem
Sopha der Frau Muhme saß. „Aber Vetter Andres, warum
antwortetest Du mir denn nicht, als ich Dich fragte, ob Du
da seist?" fragte vorwurfsvoll die Kranke. „Ei! Frau Muhme,
ich habe ja beide Male mit dem Kopfe genickt," antwortete
er gutmüthig, „die Frau Muhme hat's nur nicht sehen kön-
nen, weil's dunkel war." „Ach! Du närrischer Kauz!" rief
nun die gute Frau und lachte herzlich in ihr Kissen hinein.
„Du hast mich so angst gemacht." Aber diese kleine Auf-
regung verbunden mit dem unwiderstehlichen Reiz zum Lachen

bekam ihr schließlich besser, als Tropfen, Pillen und Pulver,
die ihr im reichen Maße der Doctor verordnet, und von
Stund' an trat Besserung ein.

Die Enkel und Enkelinnen der Frau Muhme, wenn sie
mit ihren Eltern, was ziemlich oft geschah, zur Großmama
gefahren kamen, waren aber ganz besonders durch Vetter
Andresens Gegenwart erfreut und beglückt; denn einen größer»
und harmloseren Kinderfreund gab es auf der Welt nicht. Dem
Einen gab er einen grünen Laubfrosch im Glase mit einer
kleinen Leiter, dem Andern einen Canarienvogel, dem Dritten
ein Paar Trommeltauben, dem Vierten gar einen Raben, der
sprechen gelernt und ganz deutlich: „Guten Morgen Frau
Muhme!" oder „Guten Abend Vetter Andres!" sagen konnte.
Dadurch gewann er sich gar bald der Kinder Herzen. So
konnte es denn auch gar nicht fehlen, daß bald sein Geburts-
tag wie ein Familienfest gefeiert wurde. Die Kinder sandten
oder überbrachten schön geschriebene Gratulations-Schreiben
oder selbst gefertigte Geschenke als Tabacksbentcl, Geldbörsen,
Hosenträger und dergleichen. Vetter. Adolph aber übersandte
bei einer solchen Gelegenheit einen fast noch funkelnagelneuen
Rock, der ihm, da er sehr corpulent geworden, etwas zu
eng war, für Vetter Andres zum Angebinde an die Frau
Muhme, der ihm aber auf ein Haar schlecht bekommen wäre.
Die Frau Muhme ließ nämlich Nachts, als Vetter Andres
schon fest schlief, durch die Magd den alten Rock von dem
Nagel, wo er zu hängen pflegte, entfernen und an seine
Stelle den neuen, vom Vetter Adolph geschenkten hängen und
freute sich schon im Voraus kindlich auf Vetter Andresens
Ueberraschuug. Aber am andern Morgen kam dieser nicht
zum Vorschein. Man hatte ihn zwar in seinem Zimmer
umhergehen hören, aber nachher >var Alles wieder still ge-

worden. Als man endlich seine Thür öffnete, lag er wieder
völlig entkleidet und vor Angst schwitzend im Bette. „Aber
Vetter Andres!" rief ihm seine Wohlthäterin zu, „willst Du
denn heute Deinen Geburtstag im Bette feiern? Warum
stehst Du denn nur nicht auf?"

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Vetter Andres"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Abmagerung
Mantel <Motiv>
Austausch
Übergröße
Täuschung
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 28.1858, Nr. 667, S. 115

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