158 Wie Einer ein Prinz werden kann.
Dem bürgerlichen Leineweber Strampfelmeier getreulich nacherzählt.
„Geh' ich vor ungefähr drei Vierteljahr auf die Dult
und Hab' meinen Buben, den Christoffcl, mitgenommen, damit
der auch was zu sehen kriegt; da kommt mir ein Dultmann
daher, ein ganz dicker, mit einem schwarzschafenen Pclzrock an,
und hat in der Hand eine ganze Masse von Schnürten mit
allermindestens einhundert Stück von so Luftballongs d'ran,
wie sie die Buben jetzt so haben, mit Gas gefüllt; und die
fliegen all' hoch über seinem Kopf und man sieht's ihnen an,
sie hätten all' noch gern viel höher steigen mögen, wcn-n nicht
ein jeder an einem Schnürl angebunden gewesen wär'. Ich
Hab' dabei lachen müssen, wie der dickmächtige Dultmann so
leicht daher gegangen ist, wie ein Ballettänzer, weil die Lust-
ballongs allermindestens die Hälfte von seinem Gewicht tragen.
Man soll's nicht glauben, aber wenn viele von den Ballongs
zusammen sind, dann ziehen die schon in die Höh' hinauf mit
einer Teuselsgewalt! — „Kausen Sic mir einen ab," sagt
der Mann zu mir, „kaufen Sie so 'ncn Ballong für Ihren
Buben; er kost' nur 'ncn Zwanziger; da sollen Sie einmal
seh'n, wenn er ihn fliegen läßt, was das für Freud' ist!"
— „Für die Freud' da dank' ich!" sag' ich d'rauf, „wenn
ich Zwanziger Hab' und ich gcb' sic meiner Frau in's Haus-
halten, dann fliegen sie auch davon, ohne daß ich erst Lust-
ballongs d'rum zu kaufen brauch'." — So Hab' ich gesagt
und Hab' recht gelacht über den Witz, den ich gemacht Hab';
da schreit der Dultmann einem andern nach, er soll ein Bißl |
hergehen zu ihm; aber der Andere hört nicht und da sagt
er zu meinem Christoffel: „Geh', Kleiner, halt' mir die Bal-
longs einen Augenblick!" und er gibt sie ihm und wickelt ihm
die Schnür ein paar Mal um die Hand herum, dann läuft
er dem Ankern nach; ich schau' auch nach, ob er den Andern
noch erwischt, da hör' ich aus einmal an der andern Seit'
was hinter mir schreien. Ich schau' um — aber eh' ich
noch recht sehen kann, was denn eigentlich ist, fliegt mein
Christoffcl mit den Luftballongs schon in der Luft, so hoch,
daß ich ihn nicht mehr erlangen kann; er schreit Mordio; —
ich spring' in die Höh', so gut ich kann, um den Buben noch
! bei einem Fuß zu erwischen, aber cs ist nichts! Die Lust-
ballongs fliegen mit ihm davon, immer höher und höher, bis
über die Häuser hinüber. Der Christoffel schreit in Einem
I fort; die Leut' schauen und ich schau' mit, aber es dauert
nicht lange, da ist er schon so hoch d'robcn, daß man ihn
j nur noch sehen kann, so groß wie ein Floh, der ein Bischen
I dick ist, — sammt dem, daß ich mir meine Augengläser auf-
! gesetzt Hab'.
Steh' ich nu so da und schau' und denk' mir, was ich
anfangcn soll, da kommt der Dultmann daher mit seinem
schwarzschafenen Pelzrock, und wacht mir wegen seiner davon-
geflogenen Luftballongs einen elenden Spektakel. Wenn der
schon so thut, denk' ich mir, wegen der Dinger da, wie wird !
dann erst meine Frau sich aufsührcn, wenn die die Geschichte
hört von unserem Christoffel, der auch davongeflogcn, und
dazu noch unser Einziger ist! — Ich weiß mir'S nicht zu-
sammen zu klauben, wie ich's anfangcn soll, um ihr die Sache
bcizubringcn und geh' d'rauf, um mir's ein wenig zu über-
legen, in's Bräuhaus und trink da ein Paar Maß.
Als ich heim komm', weiß meine Frau die ganze
Geschichte schon und ohne daß man einen Telegraphen
dazu gebraucht hätte. Man kann sich nun leicht denken, wie
die mir da sitzt, als ich komm' und sich grämt und weint
dazu. Ich geb' mich d'ran und troff sic; dann ist aber auch
mir das Herz weich worden und da hat sic mich wieder, ge-
tröstet — und so ist's fortgegangen die ganzen, ganzen drei
Vierteljahre durch; immer hat Eins sich gegrämt und das
Andere gctröst't und dann das wieder getröst't und das An-
dere sich gegrämt; — wie gesagt, so ist's fortgcgangen, bis in
der vorigen Woche. So sich einander trösten, nennt man das
Glück der Ehe; aber ich war doch froh, als es ein End' ge-
habt hat mit dem Glück.
Seit acht Tagen macht meine Frau nun freilich wieder
ein ganz anderes Gesicht. Gerade sind'S acht Tage heut',
daß mir der Briefträger daher gekommen ist und reicht mir
einen Brief zwischen der Thür' herein mit seiner langen, ro-
then Nase, und sagt: „Franko!" und geht wieder. Ich schau
den Brief an, nimm meine Augengläser, setz' sie auf und
schau den Brief wieder an — und richtig! er ist von meinem
Christoffcl. Schreibt mir der einen ganz langen Brief, weiß
Gott aus welchem Wclttheil und steht oben daran: „Ge-
schrieben in der Kaiserlichen Rcsivenz zu Antipodia." Ich lcs'
und was les' ich? — Die ganze Geschichte, wie cs dem Chri-
Dem bürgerlichen Leineweber Strampfelmeier getreulich nacherzählt.
„Geh' ich vor ungefähr drei Vierteljahr auf die Dult
und Hab' meinen Buben, den Christoffcl, mitgenommen, damit
der auch was zu sehen kriegt; da kommt mir ein Dultmann
daher, ein ganz dicker, mit einem schwarzschafenen Pclzrock an,
und hat in der Hand eine ganze Masse von Schnürten mit
allermindestens einhundert Stück von so Luftballongs d'ran,
wie sie die Buben jetzt so haben, mit Gas gefüllt; und die
fliegen all' hoch über seinem Kopf und man sieht's ihnen an,
sie hätten all' noch gern viel höher steigen mögen, wcn-n nicht
ein jeder an einem Schnürl angebunden gewesen wär'. Ich
Hab' dabei lachen müssen, wie der dickmächtige Dultmann so
leicht daher gegangen ist, wie ein Ballettänzer, weil die Lust-
ballongs allermindestens die Hälfte von seinem Gewicht tragen.
Man soll's nicht glauben, aber wenn viele von den Ballongs
zusammen sind, dann ziehen die schon in die Höh' hinauf mit
einer Teuselsgewalt! — „Kausen Sic mir einen ab," sagt
der Mann zu mir, „kaufen Sie so 'ncn Ballong für Ihren
Buben; er kost' nur 'ncn Zwanziger; da sollen Sie einmal
seh'n, wenn er ihn fliegen läßt, was das für Freud' ist!"
— „Für die Freud' da dank' ich!" sag' ich d'rauf, „wenn
ich Zwanziger Hab' und ich gcb' sic meiner Frau in's Haus-
halten, dann fliegen sie auch davon, ohne daß ich erst Lust-
ballongs d'rum zu kaufen brauch'." — So Hab' ich gesagt
und Hab' recht gelacht über den Witz, den ich gemacht Hab';
da schreit der Dultmann einem andern nach, er soll ein Bißl |
hergehen zu ihm; aber der Andere hört nicht und da sagt
er zu meinem Christoffel: „Geh', Kleiner, halt' mir die Bal-
longs einen Augenblick!" und er gibt sie ihm und wickelt ihm
die Schnür ein paar Mal um die Hand herum, dann läuft
er dem Ankern nach; ich schau' auch nach, ob er den Andern
noch erwischt, da hör' ich aus einmal an der andern Seit'
was hinter mir schreien. Ich schau' um — aber eh' ich
noch recht sehen kann, was denn eigentlich ist, fliegt mein
Christoffcl mit den Luftballongs schon in der Luft, so hoch,
daß ich ihn nicht mehr erlangen kann; er schreit Mordio; —
ich spring' in die Höh', so gut ich kann, um den Buben noch
! bei einem Fuß zu erwischen, aber cs ist nichts! Die Lust-
ballongs fliegen mit ihm davon, immer höher und höher, bis
über die Häuser hinüber. Der Christoffel schreit in Einem
I fort; die Leut' schauen und ich schau' mit, aber es dauert
nicht lange, da ist er schon so hoch d'robcn, daß man ihn
j nur noch sehen kann, so groß wie ein Floh, der ein Bischen
I dick ist, — sammt dem, daß ich mir meine Augengläser auf-
! gesetzt Hab'.
Steh' ich nu so da und schau' und denk' mir, was ich
anfangcn soll, da kommt der Dultmann daher mit seinem
schwarzschafenen Pelzrock, und wacht mir wegen seiner davon-
geflogenen Luftballongs einen elenden Spektakel. Wenn der
schon so thut, denk' ich mir, wegen der Dinger da, wie wird !
dann erst meine Frau sich aufsührcn, wenn die die Geschichte
hört von unserem Christoffel, der auch davongeflogcn, und
dazu noch unser Einziger ist! — Ich weiß mir'S nicht zu-
sammen zu klauben, wie ich's anfangcn soll, um ihr die Sache
bcizubringcn und geh' d'rauf, um mir's ein wenig zu über-
legen, in's Bräuhaus und trink da ein Paar Maß.
Als ich heim komm', weiß meine Frau die ganze
Geschichte schon und ohne daß man einen Telegraphen
dazu gebraucht hätte. Man kann sich nun leicht denken, wie
die mir da sitzt, als ich komm' und sich grämt und weint
dazu. Ich geb' mich d'ran und troff sic; dann ist aber auch
mir das Herz weich worden und da hat sic mich wieder, ge-
tröstet — und so ist's fortgegangen die ganzen, ganzen drei
Vierteljahre durch; immer hat Eins sich gegrämt und das
Andere gctröst't und dann das wieder getröst't und das An-
dere sich gegrämt; — wie gesagt, so ist's fortgcgangen, bis in
der vorigen Woche. So sich einander trösten, nennt man das
Glück der Ehe; aber ich war doch froh, als es ein End' ge-
habt hat mit dem Glück.
Seit acht Tagen macht meine Frau nun freilich wieder
ein ganz anderes Gesicht. Gerade sind'S acht Tage heut',
daß mir der Briefträger daher gekommen ist und reicht mir
einen Brief zwischen der Thür' herein mit seiner langen, ro-
then Nase, und sagt: „Franko!" und geht wieder. Ich schau
den Brief an, nimm meine Augengläser, setz' sie auf und
schau den Brief wieder an — und richtig! er ist von meinem
Christoffcl. Schreibt mir der einen ganz langen Brief, weiß
Gott aus welchem Wclttheil und steht oben daran: „Ge-
schrieben in der Kaiserlichen Rcsivenz zu Antipodia." Ich lcs'
und was les' ich? — Die ganze Geschichte, wie cs dem Chri-
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Wie Einer ein Prinz werden kann"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
München / Dultplatz
Missgeschick <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 32.1860, Nr. 776, S. 158
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg