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Von Michaeli

kehrte, und mit dem entzückenden Bewußtsein: sie ist nun
wirklich unser verlornes Kind! schaute er ihr in daS freund-
liche, liebliche Angesicht und sagte ihr, sie würden nun so
bald als möglich abreiscn. Vorher gab cs freilich noch
Mancherlei zu thun und der ganze folgende Tag ging noch
unter Zurüstungen zur Reise hin; für sein Lenchen mußte
Herr Laufner warme Gewänder anschaffen, denn sie sollte
ja vor ihm auf dem Pferd sitzend die lange, beschwerliche
Reise machen. Es war dem Kaufmann vor der Rückreise
recht bange, zu den vier LandShutcr Soldreitcrn wurden noch
vier andere in Straubing geworben, denn jetzt, da er den
höchsten, den liebsten Schah auf Erden mit heimführte, durfte
kein Unfall die Reisenden treffen. Endlich waren alle An-
ordnungen zur gleise getroffen und man konnte aufbrcchen.
Des Kindes wegen mußten kürzere Tagesreiscn gemacht
werden, sie wollten am ersten Tage blos bis Umholzing und
am Spätvormittag, der auf den Tag der unschuldigen Kindlein
folgte, wollten sie aufbrcchen.

Herr Laufner ging mit seinem Kinde nun nochmals in
die Rosengasse zu Frau Kunigunde, damit Magdalene Abschied
nehme von der Pflegemutter und den Geschwistern. Es war
ein herzlicher Abschied. Frau Gundel hatte doch auch an
dem Kinde gehangen, sie merkte cs erst jetzt, als dasselbe ihre
eigenen Kinder nicht mehr verkürzen sollte. Als Magdalene,
die Thräncn des Abschieds noch im Auge, aus dem Hause
trat, daS ihr so lange eine Hcimath geboten hatte, sagte sic
schüchtern bittend zu dem Kaufmaune: „Herr, darf ich nun
noch einmal auf Skt. Peters Friedhof, ich möchte auch von
Vaters Grabe Abschied nehmen!" Bewegten Herzens nikte
Laufner ihrem Wunsche Gewährung zu und sagte: „Ich
gehe mit Dir, mein Lenchen!" Der Kirchhof lag still und
einsam unter tiefer Schneedecke, und alö Magdalene am
Grabhügel des geliebten Vaters niederkniete und in kindlicher
Zärtlichkeit den kalten Schnee dcö Hügels küßte und umfing
und schluchzend rief: „Leb wohl, leb wohl, mein Vater! Ich
ziehe nun fort, mein Vater, ach mein Vater!" Da stand
Laufner tief bewegt, und durch seine Seele gingen die wider-
streitenden Gefühle: Liebe und Neid. Mußte er doch den
Mann, der sein verloren Kind so fromm und treu behütet
und gepflegt, von Herzen dankbar lieben, und mußte er ihn
nicht zugleich beneiden um die langen zehn Jahre, da Jener
sich der fröhlichen Entfaltung seines Kindes freuen durfte?
und all' die Liebe, all' die Zärtlichkeit des Kindes, war sie
nicht ihm geraubt, dem sie doch eigentlich gebührte? Durfte
er, der Vater, denn hoffen, je den Platz einzunchmen in
seines Kindes Herzen, den jetzt der fremde Mann innc hatte?
Aber die Dankbarkeit behielt doch die Oberhand, und alö
Lenchen, auf seine freundliche Mahnung hin, sich nun zu
trennen von dem geliebten Grabe, mit thräncnvollen Angen
aufstand, da beugte er sich herab, legte die Hand auf den
schneeigen Hügel und sprach leise: „Dank Dir, Du guter
Mann, für alle Liebe und Treue an meinem Kinde! Möge

Dir'S droben belohnt werden, Du Redlicher!"

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-r-

bis Silvester. 155

Klar und wolkenlos lag der frühzeitige Abend auf den
weiten Schneeflächcn; den ganzen Himmelsrand säumte rings-
um der Abendschein mit seiner milden Farbenpracht, vom
glühenden Roth durch alle Farben übergehend in den grün-
gelben Dust, der zuletzt leise in die tiefe Bläue des Himmels
verschwamm. Die Mauern und Thürine Landshuts, die
Hügel der Jsarufer und die Traußnitzfcste standen scharf und
klar in der kalten reinen Winterluft. Ein Reitertrupp zog

durch den knirschenden Schnee über die schweigenden weißen
Gefilde hin. Es war Herr Laufner mit seiner reisigen Be-
gleitung. Der Kaufherr hatte mit dem theucrsten Schatze,

den ihn des Himmclö gnädige Fügung hatte finden lassen, in !
der Mitte der Soldreitcr den langen, kalten und beschwer- j
lichen Weg glücklich zurückgelcgt, ohne von Wegelagerern
angefallcn zu werden, oder sonst eine ernste Fährlichkcit zu
bestehen. Jetzt da der letzte Tag dcö Jahres sich dem nahen
Ende zuneigte, hatte er die Mauern der Hcimath erreicht.
Wie schlug sein Herz so erwartungsvoll, er gedachte der Gattin
und jener letzten Entscheidung, ob daS liebliche Mägdlein,
das vor ihm zu Rosse saß, ob dies nun wirklich sein ver-
lornes Lenchen sei. Er gedachte der Freude, die mit ihm
einzichcn würde in das stille, einsame Haus. Denn je mehr
er alle Umstände erwog, die dcö fremden Kindes Auffindung
begleitet hatten, um so fester ward in ihm die Gewißheit, daß
er in Magdalene» sein verloren Töchterlein wiedcrgcfundcu

20*
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Von Michaelis bis Silvester"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Reiter <Motiv>
Tochter <Motiv>
Findelkind <Motiv>
Kaufmann <Motiv>
Söldner
Rückreise
Heimat
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 43.1865, Nr. 1062, S. 155

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