Aus dem vorigen Jahrhundert.
Rothe, die vorhin beim Erblicken dcS Briefes in sein Antlitz
geschossen, war einer fahlen Blässe gewichen. Doch dauerte
dieser starre Schreck nur kurze Zeit. Derselbe verwandelte
sich bald in den heftigsten Zorn, der sich bei dem Amtmann
nur zu leicht zeigte. Gewichtig fiel seine geballte Faust auf
den Tisch nieder, so daß die Tinte in ihrem Behälter hoch
aufspritzte. Dann erhob er sich rasch von seinem Stuhle und
durchmaß daö Zimmer mit großen Schritten.
„Müller!" rief er darauf mit heftiger Stimme.
„ Der Herr Amtmann befehlen?" fragte der blasse Schrei-
ber ängstlich.
„Den verfluchten Kerl, den Gebers, sofort hierher bestellen!"
„Wie der Herr Amtmann befehlen," entgegnete der
Schreiber unterwürfig, indem er seinen Hut ergriff und so-
dann das Zimmer verließ. Schon nach einigen Minuten
kehrte er mit dem Bemerken wieder, daß er den Kleinköthner
bereits vor dem Amthause getroffen und derselbe im Vor-
zimmer den weiteren Befehlen des Herrn Amtmanns cnt-
gegensähc."
„Hereinkommen!" commandirte der Amtmann, Herr
Jodocus von Remp.
Der alte Gebers betrat die Amtsstube. Wenn Blicke
tödten könnten, so wäre derselbe in den nächsten Augenblicken
jedenfalls ein stiller Mann gewesen, so heftig schoffen die
Augen des Amtmanns wiederum ihre gewohnten Blitze. Auf
den Bauern schien dies indcß keinen besonders tiefen Eindruck
zu machen, denn ruhig hielt er den Blick aus, und mit seiner
Hand in die Tasche greifend, um die schuldigen neun Reichs-
thalcr hervorzuholen, thcilte er dem Amtmann mit, daß er
I gekommen, seine restircnden Gefälle zu entrichten.
„Will Er mich zum Besten haben, Er verfluchter
Schwerenöther?" herrschte ihn der Amtmann an. „Erst geht
Er zum Herzoge und bewegt diesen Herrn durch Seine Lügen,
Ihm Seine Schuld zu erlaffen, und hat Er dies glücklich
erreicht, kommt Er zu mir und will daö Geld bezahlen?"
„Der Herzog mir meine Schuld erlassen?" fragte der
Bauer verwundert.
„Er will hier wohl noch den Erstaunten spielen," don-
nerte der Amtmann. „Doch, was rede ich noch länger mit
Ihm?" fuhr er dann ruhiger fort. „Deßhalb habe ich Ihn
nicht rufen lasten. Ich habe Ihm nur eine Eröffnung zu
machen, und dieselbe geht dahin, daß Seine Hoheit der Herzog
Ihm Seine rückständigen Meiergefälle im Wege der Gnade
erlassen, Ihn zugleich auch von sämmtlichen Abgaben für die
nächsten zehn Jahre befreit hat. Das ist's! Wird Ihm ja
nichts Neues fein! Höchst überflüssig, daß ich Ihm dasselbe
noch feierlich eröffnen muß! Na, was glotzt Er mich wieder
an, wie die Kuh das neue Thor? Er hat hier jetzt nichts
mehr zu thun. Schecre Er sich zum Teufel' oder meinet-
wegen sonst wohin! Ich will Ihn hier nicht länger sehen."
Dann sich dem Bauern etwas nähernd, fuhr er in so leisem
Tone, daß nur dieser ihn verstehen konnte, fort: „Wir spre-
chen uns schon wieder. Er kommt mir wohl noch einmal
unter die Hände. Dann soll Er mich aber kennen lernen."
75
„Bin nicht ängstlich," erwiderte der Bauer. „Der Weg
nach Braunschweig zum Herzog ist mir jetzt bekannt."
„Er will noch drohen, Er Himmelhund!" donnerte der
Amtmann. „Augenblicklich packe Er sich, oder ich lasse Ihn
hinauswerfen."
„Ist nicht nöthig, Herr Amtmann," entgegnete der Bauer,
indem er seine neun Reichsthaler, die er noch immer in der
geöffneten Hand hielt, wiederum in seine Tasche gleiten ließ,
„gehe schon. Empfehl' mich dem Herrn Amtmann," und da-
hin ging der Kleinköthner Christian Gebers, Herrn Jodocus
von Remp in einer fürchterlichen Stimmung zurücklastend,
woran seine Angehörigen und Untergebenen, am meisten aber
der arme blasse Schreiber noch wochenlang nach dem Vorfall
zu leiden hatten.
(Schluß folgt.)
Die verlog'ne Urschi.
(Oberbayerisch.)
Wos is denn dös, mein Urschi,
Wia schaugst denn aus, mei Harz?
Am Maul bist um und uma,
Im G'sicht bist halbet schwarz!
„I bi beim Nochbcrn drenten
Im kloana Gorten g'hockt,
Und hob mit seina Nanni
Durt schwarze Kirschen brockt."
Geh weita, Du Verlog'ne,
Willst laugna, so laug'n schön!
Im Juni san dia Kirschen
Bei uns no alle grän.
„So will i's denn bekenna:
I war heut Romittog
Mit'm Huaba-Annnamiadcl
Da drüb'n im Thaubiir-Schlog."
Dia Thaubiir san nöt zeiti,
Mei, Kind! wia mogst so lüag'n,
Wia mogst dei alte Muatta
So auö da Weis' betrüag'n?
„So will i's denn bekenna,
O Muatta, frisch und frei:
Beim Schwoaga war i drunten
Beim Hollariezelbrei."
O Tochta, falsche Tochta!
Willst laugna, so laug'n g'scheit,
Es hot da schwarze Holla
Erst int August sei Zeit.
10*
Rothe, die vorhin beim Erblicken dcS Briefes in sein Antlitz
geschossen, war einer fahlen Blässe gewichen. Doch dauerte
dieser starre Schreck nur kurze Zeit. Derselbe verwandelte
sich bald in den heftigsten Zorn, der sich bei dem Amtmann
nur zu leicht zeigte. Gewichtig fiel seine geballte Faust auf
den Tisch nieder, so daß die Tinte in ihrem Behälter hoch
aufspritzte. Dann erhob er sich rasch von seinem Stuhle und
durchmaß daö Zimmer mit großen Schritten.
„Müller!" rief er darauf mit heftiger Stimme.
„ Der Herr Amtmann befehlen?" fragte der blasse Schrei-
ber ängstlich.
„Den verfluchten Kerl, den Gebers, sofort hierher bestellen!"
„Wie der Herr Amtmann befehlen," entgegnete der
Schreiber unterwürfig, indem er seinen Hut ergriff und so-
dann das Zimmer verließ. Schon nach einigen Minuten
kehrte er mit dem Bemerken wieder, daß er den Kleinköthner
bereits vor dem Amthause getroffen und derselbe im Vor-
zimmer den weiteren Befehlen des Herrn Amtmanns cnt-
gegensähc."
„Hereinkommen!" commandirte der Amtmann, Herr
Jodocus von Remp.
Der alte Gebers betrat die Amtsstube. Wenn Blicke
tödten könnten, so wäre derselbe in den nächsten Augenblicken
jedenfalls ein stiller Mann gewesen, so heftig schoffen die
Augen des Amtmanns wiederum ihre gewohnten Blitze. Auf
den Bauern schien dies indcß keinen besonders tiefen Eindruck
zu machen, denn ruhig hielt er den Blick aus, und mit seiner
Hand in die Tasche greifend, um die schuldigen neun Reichs-
thalcr hervorzuholen, thcilte er dem Amtmann mit, daß er
I gekommen, seine restircnden Gefälle zu entrichten.
„Will Er mich zum Besten haben, Er verfluchter
Schwerenöther?" herrschte ihn der Amtmann an. „Erst geht
Er zum Herzoge und bewegt diesen Herrn durch Seine Lügen,
Ihm Seine Schuld zu erlaffen, und hat Er dies glücklich
erreicht, kommt Er zu mir und will daö Geld bezahlen?"
„Der Herzog mir meine Schuld erlassen?" fragte der
Bauer verwundert.
„Er will hier wohl noch den Erstaunten spielen," don-
nerte der Amtmann. „Doch, was rede ich noch länger mit
Ihm?" fuhr er dann ruhiger fort. „Deßhalb habe ich Ihn
nicht rufen lasten. Ich habe Ihm nur eine Eröffnung zu
machen, und dieselbe geht dahin, daß Seine Hoheit der Herzog
Ihm Seine rückständigen Meiergefälle im Wege der Gnade
erlassen, Ihn zugleich auch von sämmtlichen Abgaben für die
nächsten zehn Jahre befreit hat. Das ist's! Wird Ihm ja
nichts Neues fein! Höchst überflüssig, daß ich Ihm dasselbe
noch feierlich eröffnen muß! Na, was glotzt Er mich wieder
an, wie die Kuh das neue Thor? Er hat hier jetzt nichts
mehr zu thun. Schecre Er sich zum Teufel' oder meinet-
wegen sonst wohin! Ich will Ihn hier nicht länger sehen."
Dann sich dem Bauern etwas nähernd, fuhr er in so leisem
Tone, daß nur dieser ihn verstehen konnte, fort: „Wir spre-
chen uns schon wieder. Er kommt mir wohl noch einmal
unter die Hände. Dann soll Er mich aber kennen lernen."
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„Bin nicht ängstlich," erwiderte der Bauer. „Der Weg
nach Braunschweig zum Herzog ist mir jetzt bekannt."
„Er will noch drohen, Er Himmelhund!" donnerte der
Amtmann. „Augenblicklich packe Er sich, oder ich lasse Ihn
hinauswerfen."
„Ist nicht nöthig, Herr Amtmann," entgegnete der Bauer,
indem er seine neun Reichsthaler, die er noch immer in der
geöffneten Hand hielt, wiederum in seine Tasche gleiten ließ,
„gehe schon. Empfehl' mich dem Herrn Amtmann," und da-
hin ging der Kleinköthner Christian Gebers, Herrn Jodocus
von Remp in einer fürchterlichen Stimmung zurücklastend,
woran seine Angehörigen und Untergebenen, am meisten aber
der arme blasse Schreiber noch wochenlang nach dem Vorfall
zu leiden hatten.
(Schluß folgt.)
Die verlog'ne Urschi.
(Oberbayerisch.)
Wos is denn dös, mein Urschi,
Wia schaugst denn aus, mei Harz?
Am Maul bist um und uma,
Im G'sicht bist halbet schwarz!
„I bi beim Nochbcrn drenten
Im kloana Gorten g'hockt,
Und hob mit seina Nanni
Durt schwarze Kirschen brockt."
Geh weita, Du Verlog'ne,
Willst laugna, so laug'n schön!
Im Juni san dia Kirschen
Bei uns no alle grän.
„So will i's denn bekenna:
I war heut Romittog
Mit'm Huaba-Annnamiadcl
Da drüb'n im Thaubiir-Schlog."
Dia Thaubiir san nöt zeiti,
Mei, Kind! wia mogst so lüag'n,
Wia mogst dei alte Muatta
So auö da Weis' betrüag'n?
„So will i's denn bekenna,
O Muatta, frisch und frei:
Beim Schwoaga war i drunten
Beim Hollariezelbrei."
O Tochta, falsche Tochta!
Willst laugna, so laug'n g'scheit,
Es hot da schwarze Holla
Erst int August sei Zeit.
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