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Drei Mädchen
zu arretiren, weil dieselben wegen versuchter Lebensbedrohung
i sofort in strenge Haft und Untersuchung zu bringen sind.
Liebe, Gerichtsamtmann."
„Barmherziger, allmächtiger Schöpfer der Welt, sei
: meinen Kindern gnädig! — Was habt Ihr gethan l?"
Die anbefohlenen fünf Minuten waren vorüber, der
i Diener des Gerichtes übergab jetzt den rosenrothen Brief und
war sofort zur Stube und zum Hause hinaus. Der mit Angst-
schweiß bedeckte Vater erbrach hastig den Brief und las ihn
j still. Auf die Züge des Vaters den Blick gerichtet, verfolg-
ten sie mit hoher Spannung dieselben. Die Angst des Försters
wurde scheinbar geringer, seine Miene erheiterte sich und in-
dem er den Brief an seine Brust drückte, rief er: „Ihr seid
gerettet. Setzt Euch her und erzählt mir, Was sich denn er-
eignet hat — ich brenne vor Neugierde, iin Zusammenhänge
und Lichte daö zu erkennen, was mir jetzt gänzlich dunkel ist."
Minna erzählte von Anfang bis zu Ende Alles, was
sich während der Abwesenheit des Vaters bis zu seinem Ein-
tritte in die Stube zugetragen hatte.
Der Förster lachte herzlich und sagte: „Nun gebt mir
erst einen Kuß des frohen Wiedersehens." Ach, mit welcher
Herzlichkeit umarmten, herzten und küßten die Kinder den ge-
liebten Vater, der nun auf allgemeines Verlangen den Inhalt
des rothen Briefes vortrug, dessen Adresse lautete:
> „An die drei liebenswürdigen Töchter des Herrn Försters
Kessingcr zu Voigtsburg.
Hochgeehrte Damen!
Millionenmal bitte ich um Verzeihung, wenn ich Sic so-
eben durch meinen weißen Brief fünf Minuten lang in Angst
versetzt haben sollte. Sie hatten mir so schlagende Beweise
! Ihrer Zauberkunst gegeben, daß ich, durch Ihr Beispiel er-
j muntert, in mir ein sehnliches Verlangen fühlte, auch zu ver-
! suchen, ob ich im Stande sein würde, an Ihnen einen Zauber
! auszuübcn. Ob es gelungen ist, weiß ich dieser Zeit noch
nicht, aber in jedem Falle hoffe ich von Ihrer Liebcnswürdig-
i keit, daß Sie mir die erbetene Verzeihung nicht versagen
j werden. Sie haben die Ihnen von mir gestellte Aufgabe
> glanzvoll gelöst. Daß das letzte Zauberkunststück einen so
i mächtigen Einfluß auf mich ausübte, dürfte Ihnen doch jetzt
- wahrscheinlich noch nicht erklärlich sein, weßhalb ich mir die
Freiheit nehmen werde, Ihnen sofort nach der Rückkehr Ihres
geehrten Herrn Vaters einen Besuch abzustatten, um Ihnen
Aufklärung darüber, sowie das gewünschte Urtheil zu geben.
Es zeichnet mit der größten Hochachtung und Ehrerbietung
Liebe, Gerichtsamtmann."
„Kinder," sprach der Vater, „dies hat etwas Besonderes
zu bedeuten, daß der Gerichtsamtmann uns selbst besuchen will,
und ich habe darüber so meine Gedanken."
Die beiden älteren Schwestern meinten, sie hätten auch
ihre Gedanken und Gretchen behauptete, auch nicht gedanken-
los zu sein.
Keines dachte an das aufgetragene Esten, vielmehr wurde
lebhaft über das Vorgefallenc debattirt und der Vater kam
weder dazu, die Erlebniste seiner Reise zu erzählen, noch die
auf der Jagd.
Geschenke auszupacken, die er seinen Töchtern aus der Residenz
mitgebracht hatte. Die Herzen Aller waren zu bewegt.
Im Sturmschritte eilte der im Herzen auch tief bewegte
Gerichtsdiener Hasche heimwärts und begab sich sofort zum
Amtmann. Er erzählte ihm mit Entsetzen, was er in der
Försterei erlebt hatte und daß der Förster dazugekommen sei
und das Elend mit angesehen und den rothen Brief in Em-
pfang genommen, worauf er sich gleich entfernt habe.
„Der Kutscher soll sofort anspannen," rief der Amtmann,
auf dessen Herzen es plötzlich centnerschwer lastete, indem ihn
das Gefühl der Schuld traf; er machte sich die bittersten Vor-
würfe über sein Wagniß mit dem weißen Briefe.
Der Amtmann bestieg seinen Wagen mit den Worten:
„Fahre eiligst in die Försterei nach Voigtöburg." Nach einer
halben Stunde trat er in die Försterwohnung mit den Wor-
ten ein: „Ohne Erlaubniß trete ich ein, denn ich muß Sie
sehen und sprechen, meine Damen, ich muß Sie persönlich um
Verzeihung bitten, da ich Sie jedenfalls schwer gekränkt habe."
Der Förster, die Hand des Amtmanns ergreifend und
herzlich drückend, sprach: „Seien Sie uns zuvörderst herzlich
willkommen und sodann in Ihrem Herzen ganz ruhig, denn
Sie finden hier in der Försterei lauter glückliche Menschen.
Lassen Sie uns zur Tafel setzen, wo die Speisen, die Mit-
tags aufgetragen und vor Freude nicht genossen wurden, noch
unberührt stehen." Ich bitte, sagte der Amtmann, als man
sich gesetzt hatte, um geneigtes Gehör.
„In meinem 22. Lebensjahre lernte ich ein Mädchen
kennen und lieben. Wir wurden bald ein Herz und eine
Seele, so daß in meinem 24. Jahre an dem Tage, wo ich
mein erstes Anstellungsdecret erhielt, unsere Verlobung gefeiert
und der Hochzeitstag bestimmt ward. Das Glück, welches
ich damals in der Liebe zu meiner Braut empfunden habe,
kann ich Ihnen nicht genug schildern. Aber der Mensch denkt
und Der da oben lenkt. Er prüfte mich schwer und stürzte
mich aus der Seligkeit meines Himmels herab in kaum er-
tragbare Bekümmerniß; denn meine Braut erkrankte, ward
nicht wieder gesund, und starb. Ans ihrem Sterbelager sprach
sie, die edle Seele: ich bin für Dich hier verloren, mögest
Du wahres Glück in der Liebe einer Anderen finden. Trage
dies zu meinem Andenken als Talisman auf Deiner Brust.
Sie drückte mir ein an seidener Schnur hängendes goldenes
Kreuz in die Hand, das ich seit jener Zeit stets auf meiner
Brust trage. Als ich, Fräulein Gretchen, Ihnen so lange in die
Augen sehen mußte, da ward mir schon cigenthümlich, als aber
mein Blick auf das Kreuz in Ihrer Hand fiel, da war ich im
vollsten Siniw des Wortes wie bezaubert und ich sah meine
selige Braut bei uns stehen wie dieselbe nrir freundlich zu-
lächelte und ihre Hände segnend über unsere Häupter erhob.
Ein Schleier fiel über meine Augen herab, meine Sinne
, schwanden und ich ward ohnmächtig. Hier, er nahm ein
goldenes Kreuz von seiner Brust, betrachten und vergleichen
Sie dieses mit dem Ihrigen und Sie werden große Aehnlich-
keit finden." Er verließ das Zimmer, kehrte aber sofort mit
dem zu großer Bedeutung gelangten Hasen in der Hand zurück.
Drei Mädchen
zu arretiren, weil dieselben wegen versuchter Lebensbedrohung
i sofort in strenge Haft und Untersuchung zu bringen sind.
Liebe, Gerichtsamtmann."
„Barmherziger, allmächtiger Schöpfer der Welt, sei
: meinen Kindern gnädig! — Was habt Ihr gethan l?"
Die anbefohlenen fünf Minuten waren vorüber, der
i Diener des Gerichtes übergab jetzt den rosenrothen Brief und
war sofort zur Stube und zum Hause hinaus. Der mit Angst-
schweiß bedeckte Vater erbrach hastig den Brief und las ihn
j still. Auf die Züge des Vaters den Blick gerichtet, verfolg-
ten sie mit hoher Spannung dieselben. Die Angst des Försters
wurde scheinbar geringer, seine Miene erheiterte sich und in-
dem er den Brief an seine Brust drückte, rief er: „Ihr seid
gerettet. Setzt Euch her und erzählt mir, Was sich denn er-
eignet hat — ich brenne vor Neugierde, iin Zusammenhänge
und Lichte daö zu erkennen, was mir jetzt gänzlich dunkel ist."
Minna erzählte von Anfang bis zu Ende Alles, was
sich während der Abwesenheit des Vaters bis zu seinem Ein-
tritte in die Stube zugetragen hatte.
Der Förster lachte herzlich und sagte: „Nun gebt mir
erst einen Kuß des frohen Wiedersehens." Ach, mit welcher
Herzlichkeit umarmten, herzten und küßten die Kinder den ge-
liebten Vater, der nun auf allgemeines Verlangen den Inhalt
des rothen Briefes vortrug, dessen Adresse lautete:
> „An die drei liebenswürdigen Töchter des Herrn Försters
Kessingcr zu Voigtsburg.
Hochgeehrte Damen!
Millionenmal bitte ich um Verzeihung, wenn ich Sic so-
eben durch meinen weißen Brief fünf Minuten lang in Angst
versetzt haben sollte. Sie hatten mir so schlagende Beweise
! Ihrer Zauberkunst gegeben, daß ich, durch Ihr Beispiel er-
j muntert, in mir ein sehnliches Verlangen fühlte, auch zu ver-
! suchen, ob ich im Stande sein würde, an Ihnen einen Zauber
! auszuübcn. Ob es gelungen ist, weiß ich dieser Zeit noch
nicht, aber in jedem Falle hoffe ich von Ihrer Liebcnswürdig-
i keit, daß Sie mir die erbetene Verzeihung nicht versagen
j werden. Sie haben die Ihnen von mir gestellte Aufgabe
> glanzvoll gelöst. Daß das letzte Zauberkunststück einen so
i mächtigen Einfluß auf mich ausübte, dürfte Ihnen doch jetzt
- wahrscheinlich noch nicht erklärlich sein, weßhalb ich mir die
Freiheit nehmen werde, Ihnen sofort nach der Rückkehr Ihres
geehrten Herrn Vaters einen Besuch abzustatten, um Ihnen
Aufklärung darüber, sowie das gewünschte Urtheil zu geben.
Es zeichnet mit der größten Hochachtung und Ehrerbietung
Liebe, Gerichtsamtmann."
„Kinder," sprach der Vater, „dies hat etwas Besonderes
zu bedeuten, daß der Gerichtsamtmann uns selbst besuchen will,
und ich habe darüber so meine Gedanken."
Die beiden älteren Schwestern meinten, sie hätten auch
ihre Gedanken und Gretchen behauptete, auch nicht gedanken-
los zu sein.
Keines dachte an das aufgetragene Esten, vielmehr wurde
lebhaft über das Vorgefallenc debattirt und der Vater kam
weder dazu, die Erlebniste seiner Reise zu erzählen, noch die
auf der Jagd.
Geschenke auszupacken, die er seinen Töchtern aus der Residenz
mitgebracht hatte. Die Herzen Aller waren zu bewegt.
Im Sturmschritte eilte der im Herzen auch tief bewegte
Gerichtsdiener Hasche heimwärts und begab sich sofort zum
Amtmann. Er erzählte ihm mit Entsetzen, was er in der
Försterei erlebt hatte und daß der Förster dazugekommen sei
und das Elend mit angesehen und den rothen Brief in Em-
pfang genommen, worauf er sich gleich entfernt habe.
„Der Kutscher soll sofort anspannen," rief der Amtmann,
auf dessen Herzen es plötzlich centnerschwer lastete, indem ihn
das Gefühl der Schuld traf; er machte sich die bittersten Vor-
würfe über sein Wagniß mit dem weißen Briefe.
Der Amtmann bestieg seinen Wagen mit den Worten:
„Fahre eiligst in die Försterei nach Voigtöburg." Nach einer
halben Stunde trat er in die Försterwohnung mit den Wor-
ten ein: „Ohne Erlaubniß trete ich ein, denn ich muß Sie
sehen und sprechen, meine Damen, ich muß Sie persönlich um
Verzeihung bitten, da ich Sie jedenfalls schwer gekränkt habe."
Der Förster, die Hand des Amtmanns ergreifend und
herzlich drückend, sprach: „Seien Sie uns zuvörderst herzlich
willkommen und sodann in Ihrem Herzen ganz ruhig, denn
Sie finden hier in der Försterei lauter glückliche Menschen.
Lassen Sie uns zur Tafel setzen, wo die Speisen, die Mit-
tags aufgetragen und vor Freude nicht genossen wurden, noch
unberührt stehen." Ich bitte, sagte der Amtmann, als man
sich gesetzt hatte, um geneigtes Gehör.
„In meinem 22. Lebensjahre lernte ich ein Mädchen
kennen und lieben. Wir wurden bald ein Herz und eine
Seele, so daß in meinem 24. Jahre an dem Tage, wo ich
mein erstes Anstellungsdecret erhielt, unsere Verlobung gefeiert
und der Hochzeitstag bestimmt ward. Das Glück, welches
ich damals in der Liebe zu meiner Braut empfunden habe,
kann ich Ihnen nicht genug schildern. Aber der Mensch denkt
und Der da oben lenkt. Er prüfte mich schwer und stürzte
mich aus der Seligkeit meines Himmels herab in kaum er-
tragbare Bekümmerniß; denn meine Braut erkrankte, ward
nicht wieder gesund, und starb. Ans ihrem Sterbelager sprach
sie, die edle Seele: ich bin für Dich hier verloren, mögest
Du wahres Glück in der Liebe einer Anderen finden. Trage
dies zu meinem Andenken als Talisman auf Deiner Brust.
Sie drückte mir ein an seidener Schnur hängendes goldenes
Kreuz in die Hand, das ich seit jener Zeit stets auf meiner
Brust trage. Als ich, Fräulein Gretchen, Ihnen so lange in die
Augen sehen mußte, da ward mir schon cigenthümlich, als aber
mein Blick auf das Kreuz in Ihrer Hand fiel, da war ich im
vollsten Siniw des Wortes wie bezaubert und ich sah meine
selige Braut bei uns stehen wie dieselbe nrir freundlich zu-
lächelte und ihre Hände segnend über unsere Häupter erhob.
Ein Schleier fiel über meine Augen herab, meine Sinne
, schwanden und ich ward ohnmächtig. Hier, er nahm ein
goldenes Kreuz von seiner Brust, betrachten und vergleichen
Sie dieses mit dem Ihrigen und Sie werden große Aehnlich-
keit finden." Er verließ das Zimmer, kehrte aber sofort mit
dem zu großer Bedeutung gelangten Hasen in der Hand zurück.