Sauet Niklas-Abend.
50
„Ist denn das nicht Euer Gesell, Herr Scabinus?"
fragte die Alte.
„Ich kenne den Menschen nicht!" war die Antwort.
„Aber, mein Gott! kennt Ihr ihn denn nicht? Wie ist
er denn mit Euch da oben gewesen?"
„Woher soll ich ihn kennen," fuhr Herr Lademann ge-
reizt auf; „er ist heraufgekommen, wie ich oben war, hat
mich gepackt in der Finsterniß, hat mich niedergeworfe», daß
j die Breiter durchgebrochen, und wir Beide durchgefallen sind!
Ihr kennt ihn vielleicht besser, wenigstens die Jungfer da!"
Die Alte schüttelte unbefriedigt den Kopf — da war noch
ein unlösbar Räthsel. Die argwöhnische Anklage, die in
Herrn Lademanns letzten Worten lag, kam ihr in dem Augen-
blick gar nicht zum Bewußtsein. Herr Lademann aber meinte,
die Sache nun zu durchschauen. Irgend ein Liebhaber der
Jungfer hatte seine Bodenbesuche beobachtet, hatte den Zweck
derselben errathen und, von Eifersucht gestachelt, dem stillen
Verehrer das Lauschen durch die Bretterritzen austreiben
wollen. .Warum die Beiden nun aber so gar kläglich schluchzten,
blieb ihm noch räthselhaft.
Endlich trat Frau Sabine, da die beiden sungen Leute
sich noch immer schluchzend umfangen hielten, schüchtern und
betreten näher, zupfte Lueien am Kleid und rief halblaut:
„Lucie, um Gottes Willen! Kennst Du den Mann? Wer
ist denn das? Rede doch! Was bedeutet denn das Alles?"
Es dauerte aber eine geraume Zeit, und Frau Sabine
mußte ihre Frage und das Zupfen noch oft wiederholen, ehe
Lucie aus der freudigen Betäubung soweit zum Bewußtsein
kam, um sich zu erinnern, daß außer ihr und Heinrich noch
sonst Jemand auf der Welt sei. Sic erhob das Haupt, sie
machte sich los aus den Armen des Todtgeglaubten, der ihr
nun wie vom Himmel herab vor die Füße gefallen war, und
fiel mit kaum minderer Heftigkeit mit dem Ruf: „Ach, Muhme,
Muhme!" der bestürzten Pflegemutter um den'Hals, und
hatte nur Thränen, unaufhaltsame Thränen statt aller Ant-
wort. Heinrich aber, dessen starre Verzweiflung sich in einem
heftigen Hinausströmen des vorher vereisten Schmerzes auf-
'löste, warf sich auf den Holzschemel, auf dem Lucie vorher
gesessen, legte in einer Art unbewußter Scham über solche
Thränen beide Arme auf den Tisch und barg das Angesicht in
den Armen. Herr Lademann schaute in verzweifelnder Rath-
i losigkeit nach der alten Sabine, die, umfangen von den Armen
ihrer heftig bewegten Pflegetochter, ebenso rathlos stand und,
wie dies nicht anders möglich, eine unbeschreiblich unbefriedigte,
ja, wir können's nicht verhehlen, einfältige Miene zeigte.
Nur mühsam, in abgebrochenen Worten hatte endlich
auf wiederholtes Bitten und Drängen der alten Sabine Lucie
dieser berichten können, wie der fremde Hereingefallene ein
alter Bekannter, ja ihr Verlobter sei, und als sich nun auch
Heinrich wieder ermannte und die Erlebnisse des Tages be-
richten konnte, wie er in dumpfer Verzweiflung über die ent-
! schlichen Nachrichten, die ihn statt des erwarteten Wiedersehens
empfangen, den Werbern in die Hände gelaufen und sich durch
die Flucht in das Gärtchen und auf den Boden hatte retten
wollen, da klärte sich allerseits das wunderbare verwickelte
Zusammenkommen auf. Aus dem Boden in der Dunkelheit
leise forttappend war Heinrich mit einem Male an Jemand
angestoßen — cs war Herr Lademann, der sich hastig auf-
gerichtet hatte, als er die Tritte eines Heranschleichenden wahr-
gcnommen — und in der Aufregung der Flucht und der Furcht
vor Verfolgung hatte Heinrich ohne weitere Ueberlegung den
Fremden, der sich ihm hier plötzlich entgegenstellte, gepackt
und mit aller Macht zu Boden geworfen, der Fallende aber
hatte sich an seinen Angreifer augeklammert und diesen mit
sich umgerissen; die Wucht des doppelten Sturzes hatte die
morschen Bretter der Decke durchbrochen, und Beide waren so
den einsamen Frauen in die Stube hineingefallen. Herr Lnde-
niann hätte nicht der gutmüthige Mann sein müssen, der er
sein Lebtag war, hätte er bei solch' seltsamen Zusammeu-
treffen des Fremden ferner grollend gedenken können, der ihm
den jähen Sturz zugezogen; zwar that ihm noch manche Stelle
am Leibe weh, aber eigentlich war der Schreck doch das
Schlimmste gewesen. Die ruhige Behaglichkeit seiner Natur
hatte ihm gegen üble Folgen solchen Falles und Sturzes das ;
beste Polster wachsen lassen.
Heinrich durfte vor der Hand nicht aus dem Hause, da
er den verfolgenden Werbern noch in die Hände fallen konnte,
bei den Frauen konnte er auch nicht wohl bleiben, so wie
auch diese zu kalter Winterszeit in dem Stüblein mit durch-
brochener Decke nicht wohl hausen mochten. Herr Lademann
erbot sich, Beide, den jählings in's Haus gefallenen Frem-
den, wie die Frauen, wo möglich im Vorderhause unterbringen
zu wollen; eine große Schwierigkeit aber war noch zu über-
winden: wie nämlich Frau Petronell« von dem Vorgang
in Kenntniß gesetzt werden sollte. Der Herr Scabinus war da-
bei in einer üblen Lage. Den Frauen im Stüblein hier konnte
er wohl Vorreden, wie er in der Finsternis; oben aus dem
Boden gewesen, um seine Mehlsäcke zu zählen, oder Gott
weiß was für dringenden Geschäften uachzugehen — Frau
Pctronclla aber wäre damit nicht zu täuschen gewesen; eine
unabsehbare Reihe peinlicher Fragen sah der arme Ehe-
mann schon erwachsen aus jenem Bodenbesuch in der Dunkel-
heit, und wiederum, was mußte cs bei den Frauen für Ge-
danken erwecken, wenn er sie aufforderte, .seinen doch völlig
unschuldigen Durchbruch vor seiner Frau verheimlichen zu
helfen. Vielfache Uebung hatte indessen dem nicht eben sehr
pfiffigen Mann eine gewisse Schlauheit zu eigen gemacht, und
ein leidlicher Plan, der ihn nach beiden Seiten hin zu decken
versprach, war flugs von ihm entworfen worden. Er begann
den Anwesenden auseinanderzusetzen, wie seine sonst vortreff-
liche Frau eine peinliche Augst vor Feucrsgefahr hege, und
ihm dcßhalb stets dringend in den Ohren gelegen habe, nach
eingebrochener Dämmerung nie auf jenen Boden zu gehen.
Nun sei er zwar jedesmal ohne Licht hinaufgegangen, das
würde sie aber in ihrer Besorgniß nicht glauben wollen und
von da an in beständiger Furcht leben; es sei d'rum am
Beßten, sic erfahre von seiner Anwesenheit oben gar nichts.
Er wolle versuchen, sich durch den Hof und das Vorderhaus
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„Ist denn das nicht Euer Gesell, Herr Scabinus?"
fragte die Alte.
„Ich kenne den Menschen nicht!" war die Antwort.
„Aber, mein Gott! kennt Ihr ihn denn nicht? Wie ist
er denn mit Euch da oben gewesen?"
„Woher soll ich ihn kennen," fuhr Herr Lademann ge-
reizt auf; „er ist heraufgekommen, wie ich oben war, hat
mich gepackt in der Finsterniß, hat mich niedergeworfe», daß
j die Breiter durchgebrochen, und wir Beide durchgefallen sind!
Ihr kennt ihn vielleicht besser, wenigstens die Jungfer da!"
Die Alte schüttelte unbefriedigt den Kopf — da war noch
ein unlösbar Räthsel. Die argwöhnische Anklage, die in
Herrn Lademanns letzten Worten lag, kam ihr in dem Augen-
blick gar nicht zum Bewußtsein. Herr Lademann aber meinte,
die Sache nun zu durchschauen. Irgend ein Liebhaber der
Jungfer hatte seine Bodenbesuche beobachtet, hatte den Zweck
derselben errathen und, von Eifersucht gestachelt, dem stillen
Verehrer das Lauschen durch die Bretterritzen austreiben
wollen. .Warum die Beiden nun aber so gar kläglich schluchzten,
blieb ihm noch räthselhaft.
Endlich trat Frau Sabine, da die beiden sungen Leute
sich noch immer schluchzend umfangen hielten, schüchtern und
betreten näher, zupfte Lueien am Kleid und rief halblaut:
„Lucie, um Gottes Willen! Kennst Du den Mann? Wer
ist denn das? Rede doch! Was bedeutet denn das Alles?"
Es dauerte aber eine geraume Zeit, und Frau Sabine
mußte ihre Frage und das Zupfen noch oft wiederholen, ehe
Lucie aus der freudigen Betäubung soweit zum Bewußtsein
kam, um sich zu erinnern, daß außer ihr und Heinrich noch
sonst Jemand auf der Welt sei. Sic erhob das Haupt, sie
machte sich los aus den Armen des Todtgeglaubten, der ihr
nun wie vom Himmel herab vor die Füße gefallen war, und
fiel mit kaum minderer Heftigkeit mit dem Ruf: „Ach, Muhme,
Muhme!" der bestürzten Pflegemutter um den'Hals, und
hatte nur Thränen, unaufhaltsame Thränen statt aller Ant-
wort. Heinrich aber, dessen starre Verzweiflung sich in einem
heftigen Hinausströmen des vorher vereisten Schmerzes auf-
'löste, warf sich auf den Holzschemel, auf dem Lucie vorher
gesessen, legte in einer Art unbewußter Scham über solche
Thränen beide Arme auf den Tisch und barg das Angesicht in
den Armen. Herr Lademann schaute in verzweifelnder Rath-
i losigkeit nach der alten Sabine, die, umfangen von den Armen
ihrer heftig bewegten Pflegetochter, ebenso rathlos stand und,
wie dies nicht anders möglich, eine unbeschreiblich unbefriedigte,
ja, wir können's nicht verhehlen, einfältige Miene zeigte.
Nur mühsam, in abgebrochenen Worten hatte endlich
auf wiederholtes Bitten und Drängen der alten Sabine Lucie
dieser berichten können, wie der fremde Hereingefallene ein
alter Bekannter, ja ihr Verlobter sei, und als sich nun auch
Heinrich wieder ermannte und die Erlebnisse des Tages be-
richten konnte, wie er in dumpfer Verzweiflung über die ent-
! schlichen Nachrichten, die ihn statt des erwarteten Wiedersehens
empfangen, den Werbern in die Hände gelaufen und sich durch
die Flucht in das Gärtchen und auf den Boden hatte retten
wollen, da klärte sich allerseits das wunderbare verwickelte
Zusammenkommen auf. Aus dem Boden in der Dunkelheit
leise forttappend war Heinrich mit einem Male an Jemand
angestoßen — cs war Herr Lademann, der sich hastig auf-
gerichtet hatte, als er die Tritte eines Heranschleichenden wahr-
gcnommen — und in der Aufregung der Flucht und der Furcht
vor Verfolgung hatte Heinrich ohne weitere Ueberlegung den
Fremden, der sich ihm hier plötzlich entgegenstellte, gepackt
und mit aller Macht zu Boden geworfen, der Fallende aber
hatte sich an seinen Angreifer augeklammert und diesen mit
sich umgerissen; die Wucht des doppelten Sturzes hatte die
morschen Bretter der Decke durchbrochen, und Beide waren so
den einsamen Frauen in die Stube hineingefallen. Herr Lnde-
niann hätte nicht der gutmüthige Mann sein müssen, der er
sein Lebtag war, hätte er bei solch' seltsamen Zusammeu-
treffen des Fremden ferner grollend gedenken können, der ihm
den jähen Sturz zugezogen; zwar that ihm noch manche Stelle
am Leibe weh, aber eigentlich war der Schreck doch das
Schlimmste gewesen. Die ruhige Behaglichkeit seiner Natur
hatte ihm gegen üble Folgen solchen Falles und Sturzes das ;
beste Polster wachsen lassen.
Heinrich durfte vor der Hand nicht aus dem Hause, da
er den verfolgenden Werbern noch in die Hände fallen konnte,
bei den Frauen konnte er auch nicht wohl bleiben, so wie
auch diese zu kalter Winterszeit in dem Stüblein mit durch-
brochener Decke nicht wohl hausen mochten. Herr Lademann
erbot sich, Beide, den jählings in's Haus gefallenen Frem-
den, wie die Frauen, wo möglich im Vorderhause unterbringen
zu wollen; eine große Schwierigkeit aber war noch zu über-
winden: wie nämlich Frau Petronell« von dem Vorgang
in Kenntniß gesetzt werden sollte. Der Herr Scabinus war da-
bei in einer üblen Lage. Den Frauen im Stüblein hier konnte
er wohl Vorreden, wie er in der Finsternis; oben aus dem
Boden gewesen, um seine Mehlsäcke zu zählen, oder Gott
weiß was für dringenden Geschäften uachzugehen — Frau
Pctronclla aber wäre damit nicht zu täuschen gewesen; eine
unabsehbare Reihe peinlicher Fragen sah der arme Ehe-
mann schon erwachsen aus jenem Bodenbesuch in der Dunkel-
heit, und wiederum, was mußte cs bei den Frauen für Ge-
danken erwecken, wenn er sie aufforderte, .seinen doch völlig
unschuldigen Durchbruch vor seiner Frau verheimlichen zu
helfen. Vielfache Uebung hatte indessen dem nicht eben sehr
pfiffigen Mann eine gewisse Schlauheit zu eigen gemacht, und
ein leidlicher Plan, der ihn nach beiden Seiten hin zu decken
versprach, war flugs von ihm entworfen worden. Er begann
den Anwesenden auseinanderzusetzen, wie seine sonst vortreff-
liche Frau eine peinliche Augst vor Feucrsgefahr hege, und
ihm dcßhalb stets dringend in den Ohren gelegen habe, nach
eingebrochener Dämmerung nie auf jenen Boden zu gehen.
Nun sei er zwar jedesmal ohne Licht hinaufgegangen, das
würde sie aber in ihrer Besorgniß nicht glauben wollen und
von da an in beständiger Furcht leben; es sei d'rum am
Beßten, sic erfahre von seiner Anwesenheit oben gar nichts.
Er wolle versuchen, sich durch den Hof und das Vorderhaus