Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
202 Eine Künstlerfahrt.

(Schluß.)

Er hörte hinter sich ein lautes Stöhnen und sah, sich
umdrehend, den Jammermann, der zwei Schnitzel ans dem
Teller, sein elendes Dasein beklagte und ihm mittheilte, daß
er soeben aus den Händen der Polizei entkommen sei.

Wenn irgend Jemand in der Gaststube Grund hatte,
sein Abendessen mit Sorgen und Seufzern zu verzehren, so
lvar es gewiß der junge Künstler, der wildfremd, ohne einen
Kreuzer Geld, in der großen Stadt dastand. Fehlte ihm das
Geld im Beutel, so trug er dafür ein Kapital in seinem
Kopfe, sein Talent und seine Kenntnisse, zu dem noch ein Ka-
pital im Herzen, bestehend aus frischem Jugendmuth und
Lebenslust, hinzukam. Mit diesen vereint sah er das Leben wie
durch ein rosenfarb'nes Glas vor sich liegen und dachte: der
alte Gott lebt noch und wird Dir schon Deinen Schutzengel
mit auf dem Floß haben herabfahreil lassen. Deßhalb griff
er auch das soeben erscheinende Schnitzel auf Credit mit
gutem Muth und noch besserem Appetit an, trank sein Seidel
Wein dazu und lehnte sich dann mit solchem Behagen zurück,
wie dies nur ein Millionär nach einem lucullischen Mahl
thun kann. Da gutgelaunte Millionäre sich nach dem Essen aus
einer Zeitung vom Stand der Weltbegebenheiten, der Course
und Theater zu unterrichten pflegen, so nahm unser Künstler
auch die Wiener Zeitung und studirte sie mit einem so großen
Interesse, Uielches auch wicht die geringste Ankündigung ver-
schmähte. Waren es doch lauter Anzeigen aus der Kaiserstadt,
die er hier fand, ans dem Märchenland, in dem er jetzt selber
saß. Indem er so alles durchsah, ward er plötzlich sehr auf-

merksam und blickte gespannt in das Blatt, denn da stand
klar und deutlich, für den nächsten Tag eine Organistenprüf-
ung bei der evangelischen Gemeinde angezeigt, au der jeder
Musiker theilnehmen konnte.

„Nun, dies scheint hier wahrlich ein Glücksland zu sein,"
murmelte er freudig. „Organistenprobe! — hm, das ist so
'was für mich und ich muß dazu gerade den Abend vorher
ankommen, wie gerufen! —"

Der Wirth trat hier zu ihm und verlangte seinen Paß,
um den Fremdenzettel auszufüllen. ,,J' bitt', ivas haben
Sie für einen Reisezweck," fragte er.

„Ich bin extra heruntergekommen, um die Organisten-
probe mitzumachen und mir die Stelle zu erobern," antwor-
tete der Gast, indeni er dem Wirth lächelnd die Ankündig- j
ung zeigte.

Dieser zog sein Käppchen und machte ihm eine Verbeug-
ung. „So jung und Sie wollen schon Organist iverden?"
sprach er verwundert.

„Weßhalb nicht?" erwiderte der Künstler.

„Nun," fuhr der Wirth fort, „ich habe noch in nieinem
Leben keinen so jungen Organisten gesehen. Alle, die mir
vorkamen, waren ziemlich kahlköpfig und hatten schwarze Käp-
pelu und große Brillen auf, waren grau und faltig, so daß
ich mir gar nicht denken kann, wie ein so junges Blut eine
so große Orgel zwingen will."

„Haben Sie keine Angst. Ich will sie zwingen und
wär's die Orgel von St. Stephan. Sie soll ihren ganzen
Wind nöthig haben."

Den Wirth faßte Erstaunen, ob dieser ungeheuerlichen
Vermessenheit und indem er den frischen Jungen aufmerksam
betrachtete, dachte er: „Es muß wohl '>vas Tüchtiges in ihm
stecken!" und beschloß, ihn nicht in das Dachkämmerlein zu
bequartiren, wie er erst vorhatte, sondern in ein bequemes
Zimmer, >vie das für einen Organisten in spe paßte.

Er brachte ihn auch selbst zu Bett und erklärte genau,
wie er morgen gehen müsse, um an Ort und Stelle zu ge-
langen. Dann kehrte er nach der Gaststube zurück und er-
zählte den Stammgästen von dem jungen Mann, den die
Evangelischen extra von München zur Orgelprobe kommen
lassen, die am nächsten Tage stattfände. Das war etwas
für den Stammtisch, der dem Wirth hart zusetzte, weil er
den Künstler nicht hergebracht, damit man ihm ein Will-
kommen getrunken hätte, denn die Wiener waren damals ein
über die Maßen gastlich und lustiges Volk, welches die Frem-
den gar gern sah, wie dies noch heute der Fall ist.

Als der Künstler zur Probe kam, wollte ihm der frische
Muth doch etwas fallen, denn er fand gegen dreißig Bewer-
ber vor, die ihr Urtheil von einer Versammlung von Peis-
richtern erwarteten, mit denen nicht zu spaßen lvar.

Da sah man den Abbä Stadler, den Adalbert Gyro-
wetz, Michael Günsbecher, Seyfried, Simon Sechter und
Streicher, den musikverständigen Klaviermacher, Schillers
Jugendfreund. Als Aufgabe war gestellt: ein Choral von
Bach; Lesen eines Händel'schen Chors aus der Partitur; eine
freie Phantasie und eine improvisirte Fuge über ein gegebenes
Thema. Die Preisrichter blickten auf die Bewerber, um den
ersten Kämpfer zu wählen. Der junge Mann in seinem
Reisekleid fiel ihnen in die Augen.

Hatte sich auch der wackere Hausknecht der Ente bemüht,
den Stiefeln des Künstlers fast übermenschlichen Glanz zu
geben und den Rock durch Bürsten um die Hälfte seiner Wolle
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Eine Künstlerfahrt"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Bierkrug
Speise
Gaststätte <Motiv>
Stellenangebot
Sorge
Organist
Kerze <Motiv>
Alleinreisender
Wien
Zeitungslektüre <Motiv>
Anzeige
Freude
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 50.1869, Nr. 1250, S. 202
 
Annotationen