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Eine Rathsversammlung der Vögel.

Zaunkönig (fortfahrend).

Im Falle aber bei dem gegenwärtigen Mangel an Mehl-
würmern keine Fonds vorhanden sein sollten, bittet Frau Nach-
j tigall um einen Reise- und Einführungsbrief für alle deutschen
j Wälder. Ich glaube wir können und müssen diese letzte Bitte
genehmigen. Wollen Sie mir Ihre Ansichten über diesen
Gegenstand mittheilen, meine Herren Vögel!

Aaskrähe.

Ich möchte dagegen einwenden, daß es mit dem melodi-
schen Gesang doch nicht weit her sein muß; denn die Ansichten
über die musikalische Befähigung der Frau Nachtigall sind höchst
verschieden. So will 5. B. mein Vetter, der Herr Rabe, nicht
I viel davon wissen.

Rabe.

Ich habe die Nachtigall in einem nenlichen Waldconcert
singen hören, aber ich muß gestehen, daß ihr Gesang weit
unter meinen Erwartungen blieb.

Buchs in k.

Ehre, dem Ehre gebühret! Am Ende wollt auch Ihr Euch,
Herr Rabe, mit der Nachtigall messen. Wenn Jemand hiezu
berechtigt wäre, so wäre ich es, und ich gestehe, daß ich nicht
im Stande bin, der Frau Nachtigall das Wasser zu reichen.
Wer singt wohl besser und klarer,

Als die Frau Nachtigall?

Es ist ein reiner und wahrer,

Natürlich klingender Schall!

Adler.

Wenn wir dieses auch wohl gelten lassen wollen, so ist
cs doch nicht zu lüugnen, daß die geschützte Frau Künstlerin
sich während ihrer Residenz in unserer Stadk durch mancherlei
gottlose Dinge ausgezeichnet hat. Was z. B. ihr eheliches
Leben betrifft, so — doch wir wollen darüber schweigen. Wer,
meine Herren im Rathe, sich rein fühlt, hebe den ersten Felsen
auf. Ich stimme also trotz alle und alle dem der Meinung
unseres erhabenen Vorsitzenden und Königs bei.

Aasgeier, Falk und Habicht (gemeinschaftlich).

Auch wir stimmen bei, denn es kann nnserm Staate nur
Ehre bringen, wenn wir, reichs- und staatsverwaltende Behörde,
die Kunst zu jeder Zeit würdigen.

Uhu.

Ich möchte mir aber doch die Frage erlauben, wie es
mit der Wissenschaftlichkeit der Petentin aussicht. Hat dieselbe
sich durch irgend eine neue Theorie des Gesanges ausgezeichnet?
Freilich Hab' ich sie oft genug in der Nacht fingen hören —
aber das Singen allein thut es doch auch nicht.

Eule.

Ich stimme dem Herrn Vorredner, meinem allweisen Freund
und Bruder, vollkommen bei.

Hahn.

Lange habe ich geschwiegen; — aber endlich kann ich es
nicht mehr, wenn die Stimmen der Nacht (Uhu und Eule kratzen
sich hinter'm Ohr) sich sogar erheben! — Wer ist es, der den
Tag verkündet? Das bin ich! — Wer ist es, der die Herzen

unseres Volkes durch Gesang mit Freude und Entzücken erfüllt?
Das ist Frau Nachtigall!

Ein anderer Hahn.

Ich würde in demselben Sinne sprechen, wie mein College
und Bruder, der Herr Vorredner, wenn derselbe mir etwas zu
sagen übrig gelassen hätte.

Kranich (lächelnd).

Meine wohlweisen Herren und Brüder! Merkwürdig ist
es, daß die Herren Hahn stets die Frauen in Schutz nehmen
und wo sic können, begünstigen. Ich habe freilich dagegen
nichts einzuwenden; doch müssen wir uns wohl zunächst an die
Frage halten: Erlauben es die Priucipien, ich will sagen, die
Grundgesetze unseres Staates, daß wir ausgezeichnete Künstler
durch Reiscbriefe in andere Staaten einführen? — Ich möchte
dies doch sehr in Zweifel ziehen.

(Eule will ein Gesetzbuch hervorholen, wird aber von dem
Präsidenten mit dem Bemerken, daß es über die betreffende Frage
wohl keine geschriebenen Gesetze gebe, zur Ruhe verwiesen.)

Staarmatz.

Ja, meine Herren! Die Frauenfrage scheint mir nicht so
ganz außer Betracht zu liegen. Wäre das Gesuch um ein Reise-
stipendium von einem Mannsbild ausgegangen, dann freilich —

Kukuk.

Kukuk! Kukuk! Kukuk!

Zaunkönig.

Warum rufen Sie: „Kukuk!" Herr Kukuk, wenn ich
fragen darf?

Kukuk.

Ich erlaube mir zu bemerken, daß ich die Frage nicht
parlamentarisch finde! — Doch will ich dem Herrn Präsidenten
hiemit erwidern, daß das Wort „Kukuk" stets mein Wort ist,
wenn über die Frauenfrage gesprochen wird.

(Verschiedene Vögel räuspern sich und sehen einander an; —
Staarmatz und Kibitz erlauben sich sogar, laut aufzulachen, was
wieder von andern durch sichtbare Zeichen des Univillens gerügt
wird.)

Taube.

Ich möchte für die Frau Nachtigall reden, denn sie ist
eine vorzügliche Künstlerin, wie unser Staat nie eine gehabt; —
doch ihr loses Leben und Treiben dürfen wir ehrenwerthc
Rathsherrn nicht unberücksichtigt lassen. Ich weiß cs aus guter
Quelle, daß sie sich nicht an ihrem eigene» Manne hat ge-
nügen lassen.

(Staunen und Entsetzen von allen Seiten; besonders der Kukuk
giebt in außerordentlicher Weise dadurch seinen Unwillen zu er
kennen, daß er davon fliegt.)

Zaunkönig.

Was füllt denn dem Herrn Kukuk ein?

Kranich.

Ich glaube, wir haben soeben eine für ihn sehr unan-
genehme Seite berührt.

Truthahn.

Dann soll er sprechen und sich nicht gerade im entschei-
dende» Augenblicke davon machen. Es ist freilich leichter, mit
seinen dummen Kukukszeichen Jemanden in die Rede fallen oder
davon fliegen, als zur rechten Zeit das rechte Wort, wie cs
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