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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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ZU BAU UND ENTWURF


29 Chor und Querriegel von Nordosten.

30 Chorkapelle und Querriegel von Südosten.


Statuen vor diesem Hauptgebälk übergreifen seine
stattliche Höhe und lassen die Standachsen der
Pfeiler über den horizontalen Gebälkabschluß hin-
aus in den Giebel- und Dachaufbau hineinwirken.
Jetzt wird auch auffallen, daß nur auf den Lang-
seiten der Halle selbst je vier, orthogonal zur Mau-
erflucht angeordnete Strebepfeiler zu finden sind;
alle anderen stehen übereck. Sie sind in Einheit mit
27 der Innenstruktur dieser Gewölbehalle entstanden
zu denken und demnach nicht frei davor, sondern
— im Gegenteil — von innen nach außen gestellt,
fast vorstoßend zu sehen: Sie fassen nicht — wie
jene — von außen zu, sondern treten als konstitu-
tive Hallenglieder aus der Tiefe vor. Dies wird vor
allem deutlich, wenn man die drei zentralen Wand-
joche der beiden Langseiten als frontsetzende,
23 symmetrisierte Fassaden mit einem Portal — und
flachem Risalit! - in der Mitte und je einem flan-
kierenden Joch zur Rechten und zur Linken ins
Auge gefaßt und diese drei Joche durch die vier
orthogonal vortretenden Statuenpfeiler gerahmt,
das Ganze durch eine Dreiergruppe von Zwerch-
giebeln überhöht sieht — als eine „Einheit“, die sich
klar aus dem Zusammenhang isolieren läßt und so
den Gedanken begründen kann, daß die (unten zu-
nächst Strebe- und oben dann Statuen-) Pfeiler
hier, auf den Langseiten der Halle ihren „Ur-
sprung“ haben.
So wie die größeren, „autochthonen“ Giebel des
Querriegels als „Einheitsbildner“ auf die Langsei-
ten der Halle - und in abermaliger Abwandlung
auf die Turmfront - übertragen wurden, konnten
die je vier, im System der Halle und ihrer Langsei-
ten „autochthon“, als Streben, zur Ausbildung ge-
brachten Pfeiler als isolierte Elemente auf die Kör-
perecken übertragen werden. Sicher weniger, um
dort die fast im Übermaß erledigte konstruktive

Notwendigkeit des „Strebens“ zu übernehmen, als
vielmehr, um mit dem „schrägen“, eben nicht 22
„normalen“ Fassen der in ihrer Ortho- bzw. Poly- 29
gonalität ganz anders gewinkelten Ecken und Kan-
ten zugleich die Kernkörper dieser Architektur als
Grundeinheiten der Entwurfskonzeption heraus-
zustellen. Nicht das gotisch-„übergreifende“
Kombinieren virtuell selbständiger Wandjoche in
einer fast seriellen, aber immer den Formzusam-
menhang wahrenden Fügung, sondern das Mit-
und Nebeneinander eigenständiger Elementfigu-
ren unterschiedlichster Größe und Genese konsti-
tuiert das Ganze.
Wie zum Ganzen so nimmt der Turm auch in
diesem Zusammenhang eine Sonderstellung ein.
Als einziger Gliedkörper der Marienkirche ist er
auf seinen Ecken nicht von Strebepfeilern gefaßt.
Vielmehr übernimmt er spezifische Momente der
Pfeilerbildung, indem auch sein Schaft durch die
sonst nur an ihnen zu beobachtende „Gamasche“ 35
gegürtet wird und er ähnlich weit vor die Hallen- 26
front tritt wie sie; so scheint er die Position dieser
„Pfeiler“ behaupten zu wollen, steht ähnlich zu
dem Saalkörper wie jene. Gleichzeitig ist er als
einer der konstitutiven Gliedkörper der Architek-
tur durch dieselbe Postamentbank, dasselbe
Hauptgebälk ins Ganze gebunden wie Halle,
Querriegel und Chorpolygon. Allerdings weiß er
seine Eigenständigkeit — betont durch die eckver-
zahnenden Reliefquader seiner Körperkanten —
weit über den Horizont dieses „Kopfbandes“ hin-
aus durchzusetzen. Dabei scheint er dessen Profil
„mitgenommen“ zu haben, denn nur wenig abge-
wandelt erscheint er als Abschluß des zweiten
Turmgeschosses unter der Helmhaube „noch ein-
mal“.
Die Fensterarchitekturen sind ebenfalls zu-

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