ZU BAU UND ENTWURF
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Dennoch bleibt das klare, fast strenge Gesetz des
Aufbaus stets gegenwärtig. Der linear-einfach um-
grenzte Rahmen und die simple Grundform der
Lanzettfenster weisen den Einzelheiten ihren Ort,
meist auch ihre Form zu. In besonderem Grade gilt
dies für die knollig-dicht wuchernden Blattformen
der Maßwerkfüllungen. Auch sie überwachsen und
verknoten eine geometrisch einfache Grundzeich-
nung, als deren konstitutive Form der vollständige
oder doch halbe und damit abermals vollständig
wirkende Kreis zu erkennen ist.
Die fünf Lanzettfenster des polygonalen Chor-
schlusses sind den Hallenfenstern nach Anord-
nung, Aufbau und Detailbddung gleichgestellt.
Nur sind sie erheblich schmaler, indem die Fenster
hier durch einen statt zwei Pfosten geteilt und
damit zwei- statt dreibahnig ausgebildet wurden.
Entsprechend war die Maßwerkfüllung abzuwan-
deln. Und da in die beiden Spitzbogensegmente
statt zwei nur noch je ein Relief-Quader einzu-
schalten war, konnten die aufgeblendeten Kapitell-
konsolen in den Pfostenachsen hier schlanker aus-
fallen und das Ganze schlüssiger wirken lassen.
Während die Lanzett-Rahmen der Hallen- und
Chorpolygonfenster im Sinne der Regelbildung die
Wandhöhe zwischen Postamentbank und Haupt-
gebälk in einem Zug ausspannen, werden alle übri-
gen Fenster zu Gliedeinheiten von Kombinations-
figuren gemacht: Auf den Giebelwänden des
Querriegels finden sich je zwei, als Paar und auf
seiner Ostseite abermals zwei, aber einzeln nörd-
lich und südlich des Chorpolygons angeordnete
Fensterfiguren, die Fuß und Kopf wie die bereits
besprochenen ausbilden, im übrigen aber aus zwei
eigenständigen Fensterarchitekturen übereinander
kombiniert sind. Ebenfalls aus zwei Teilarchitek-
turen kombiniert sind die eigenartigen, Portal und
Fenster zu einem Gebilde erklärenden Achs- und
Eingangsfiguren der Hallenlangseiten und — sogar
dreistufig organisiert — der Turmfront. Es lohnt,
ihren Aufbau im einzelnen zu verfolgen; hier sollen
wenige Bemerkungen genügen.
Im Francke-Entwurf waren von Anfang an höl-
zerne Priechen vorgesehen, die innen entlang der
Hallenaußenwände — ähnlich der ausgeführten
Lösung — angeordnet werden sollten und damit
den inneren Wandaufriß „theoretisch“ zweiteilten.
Daß die Pfeiler-Nischen-Gliederung dieser Wände
das geschoßbildende Anordnen von Emporen
ebenso wie das tiefer ansetzende und bis in die
Wölbung hineinreichende Öffnen der Nischen-
wände durch ein Lanzettfenster ermöglichte, lohnt
festgehalten zu werden. Denn im Bereich des
Querriegels, wo Sakristei und Gruftkapelle in eige-
nen Gehäusen mit eigenen, niedrigen Wölbungen
tief unter dem „Regelgewölbe“ untergebracht sind
(dazwischen bleibt Raum für zweigeschossige Em-
poren), „reagieren“ die Fenster — im Unterschied
zur Halle — auf diese, hier allerdings massive und
die Außenwände zum Tragen heranziehende Bin-
nenorganisation. Den isolierten, gegenüber dem
Innenraum abgeschlossenen „Gewölben“ der Sa-
kristei und der Gruftkapelle werden niedrige, ge-
duckt im Korbbogen geschlossene Fensterädikulen
zugeordnet. Die hochliegenden Emporen dagegen
öffnen sich zum Kirchenraum und tragen das Ihre
zur allgemeinen Raumwirkung bei; ihre Fenster 21
sind denn auch nach dem Muster der Hallen- und 22
Chorpolygon-Lanzette gebildet; nur daß sie — 28
notwendig — weniger schlank, ja im Fußbereich
wie gekappt wirken. Beide Fenster sind je zweibah-
nig bzw. — im Osten — dreibahnig organisiert.
Und da der Fuß des unteren, und der Kopf des obe-
ren Fensters durchaus der Regelbildung folgt, sor-
gen nur die horizontal verdachten Korbbogen-
brücken mit dem geometrisch klaren Sondermaß-
werk darunter für das Zerlegen der einen Fenster-
figur in zwei Gebilde ganz verschiedenen Charak-
ters: geducktes Tragen unten und freies Hochstre-
ben oben.
Kombinationsfiguren aus untergestellten, „tra- 17
genden “ Portalen und aufstrebenden, nur um einen 18
Quaderhorizont gekappten Lanzett-Rahmen-Fen- 23
stern der geläufigen Bildung zeigen auch die Mit-
telfelder der Hallenlangseiten. Sie fußen unmittel-
bar auf dem Boden, spannen sich also nicht im
Sinne der Regelbildung zwischen Sockelbank und
Hauptgebälk. Für ihren Aufbau ist, knapp genug,
Platz im Bereich der hohen Sockelbank des Gebäu-
des gelassen, indem die Fuß- und Kopfprofile die-
ser mächtigen, nur im Bereich der Eingänge, sonst
nirgendwo unterbrochenen Basis in den Wand-
spiegel zurückgeführt sind.
Diese Gebilde müssen unser besonderes Inter-
esse finden. Denn deutlicher als andere Kompo-
nenten seiner Architektur weisen sie auf das Be-
streben Franckes, Elemente, die nach Aufbau,
Form und Genese ganz unvereinbar scheinen, zu
einer „kombinierten“ Gestalt zu fügen, die wie-
derum Elementcharakter hat und sich auf analoge
Weise kombinieren läßt. Die auf einen ersten Blick
„gotisch“ anmutenden Lanzett-Rahmen-Fenster
werden zu Supraporten erklärt und überhöhen so
Portalarchitekturen, die — jetzt ohne Beimischung
„gotischer“ Elemente — allein als Geschöpfe der 32
nördlichen, vor allem niederländisch geprägten Re- 34
naissance zu erkennen sind. Derart „rein“ sind Bil-
dungen und Formen einer Architektursprache ita-
lienischer Provenienz, die über Frankreich und die
Niederlande, aber auch direkt und durch eine
wachsende Flut von Tafelwerken und Traktaten
vermittelt wurde und so im 16. Jahrhundert allge-
meine Verbreitung gefunden hatte, im Umkreis
dieser Architektur nur noch an der „schönen
Thür“ des Turm- und Haupteinganges und den 35
Aufsatzgiebeln der Langseitenfronten zu finden.
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Dennoch bleibt das klare, fast strenge Gesetz des
Aufbaus stets gegenwärtig. Der linear-einfach um-
grenzte Rahmen und die simple Grundform der
Lanzettfenster weisen den Einzelheiten ihren Ort,
meist auch ihre Form zu. In besonderem Grade gilt
dies für die knollig-dicht wuchernden Blattformen
der Maßwerkfüllungen. Auch sie überwachsen und
verknoten eine geometrisch einfache Grundzeich-
nung, als deren konstitutive Form der vollständige
oder doch halbe und damit abermals vollständig
wirkende Kreis zu erkennen ist.
Die fünf Lanzettfenster des polygonalen Chor-
schlusses sind den Hallenfenstern nach Anord-
nung, Aufbau und Detailbddung gleichgestellt.
Nur sind sie erheblich schmaler, indem die Fenster
hier durch einen statt zwei Pfosten geteilt und
damit zwei- statt dreibahnig ausgebildet wurden.
Entsprechend war die Maßwerkfüllung abzuwan-
deln. Und da in die beiden Spitzbogensegmente
statt zwei nur noch je ein Relief-Quader einzu-
schalten war, konnten die aufgeblendeten Kapitell-
konsolen in den Pfostenachsen hier schlanker aus-
fallen und das Ganze schlüssiger wirken lassen.
Während die Lanzett-Rahmen der Hallen- und
Chorpolygonfenster im Sinne der Regelbildung die
Wandhöhe zwischen Postamentbank und Haupt-
gebälk in einem Zug ausspannen, werden alle übri-
gen Fenster zu Gliedeinheiten von Kombinations-
figuren gemacht: Auf den Giebelwänden des
Querriegels finden sich je zwei, als Paar und auf
seiner Ostseite abermals zwei, aber einzeln nörd-
lich und südlich des Chorpolygons angeordnete
Fensterfiguren, die Fuß und Kopf wie die bereits
besprochenen ausbilden, im übrigen aber aus zwei
eigenständigen Fensterarchitekturen übereinander
kombiniert sind. Ebenfalls aus zwei Teilarchitek-
turen kombiniert sind die eigenartigen, Portal und
Fenster zu einem Gebilde erklärenden Achs- und
Eingangsfiguren der Hallenlangseiten und — sogar
dreistufig organisiert — der Turmfront. Es lohnt,
ihren Aufbau im einzelnen zu verfolgen; hier sollen
wenige Bemerkungen genügen.
Im Francke-Entwurf waren von Anfang an höl-
zerne Priechen vorgesehen, die innen entlang der
Hallenaußenwände — ähnlich der ausgeführten
Lösung — angeordnet werden sollten und damit
den inneren Wandaufriß „theoretisch“ zweiteilten.
Daß die Pfeiler-Nischen-Gliederung dieser Wände
das geschoßbildende Anordnen von Emporen
ebenso wie das tiefer ansetzende und bis in die
Wölbung hineinreichende Öffnen der Nischen-
wände durch ein Lanzettfenster ermöglichte, lohnt
festgehalten zu werden. Denn im Bereich des
Querriegels, wo Sakristei und Gruftkapelle in eige-
nen Gehäusen mit eigenen, niedrigen Wölbungen
tief unter dem „Regelgewölbe“ untergebracht sind
(dazwischen bleibt Raum für zweigeschossige Em-
poren), „reagieren“ die Fenster — im Unterschied
zur Halle — auf diese, hier allerdings massive und
die Außenwände zum Tragen heranziehende Bin-
nenorganisation. Den isolierten, gegenüber dem
Innenraum abgeschlossenen „Gewölben“ der Sa-
kristei und der Gruftkapelle werden niedrige, ge-
duckt im Korbbogen geschlossene Fensterädikulen
zugeordnet. Die hochliegenden Emporen dagegen
öffnen sich zum Kirchenraum und tragen das Ihre
zur allgemeinen Raumwirkung bei; ihre Fenster 21
sind denn auch nach dem Muster der Hallen- und 22
Chorpolygon-Lanzette gebildet; nur daß sie — 28
notwendig — weniger schlank, ja im Fußbereich
wie gekappt wirken. Beide Fenster sind je zweibah-
nig bzw. — im Osten — dreibahnig organisiert.
Und da der Fuß des unteren, und der Kopf des obe-
ren Fensters durchaus der Regelbildung folgt, sor-
gen nur die horizontal verdachten Korbbogen-
brücken mit dem geometrisch klaren Sondermaß-
werk darunter für das Zerlegen der einen Fenster-
figur in zwei Gebilde ganz verschiedenen Charak-
ters: geducktes Tragen unten und freies Hochstre-
ben oben.
Kombinationsfiguren aus untergestellten, „tra- 17
genden “ Portalen und aufstrebenden, nur um einen 18
Quaderhorizont gekappten Lanzett-Rahmen-Fen- 23
stern der geläufigen Bildung zeigen auch die Mit-
telfelder der Hallenlangseiten. Sie fußen unmittel-
bar auf dem Boden, spannen sich also nicht im
Sinne der Regelbildung zwischen Sockelbank und
Hauptgebälk. Für ihren Aufbau ist, knapp genug,
Platz im Bereich der hohen Sockelbank des Gebäu-
des gelassen, indem die Fuß- und Kopfprofile die-
ser mächtigen, nur im Bereich der Eingänge, sonst
nirgendwo unterbrochenen Basis in den Wand-
spiegel zurückgeführt sind.
Diese Gebilde müssen unser besonderes Inter-
esse finden. Denn deutlicher als andere Kompo-
nenten seiner Architektur weisen sie auf das Be-
streben Franckes, Elemente, die nach Aufbau,
Form und Genese ganz unvereinbar scheinen, zu
einer „kombinierten“ Gestalt zu fügen, die wie-
derum Elementcharakter hat und sich auf analoge
Weise kombinieren läßt. Die auf einen ersten Blick
„gotisch“ anmutenden Lanzett-Rahmen-Fenster
werden zu Supraporten erklärt und überhöhen so
Portalarchitekturen, die — jetzt ohne Beimischung
„gotischer“ Elemente — allein als Geschöpfe der 32
nördlichen, vor allem niederländisch geprägten Re- 34
naissance zu erkennen sind. Derart „rein“ sind Bil-
dungen und Formen einer Architektursprache ita-
lienischer Provenienz, die über Frankreich und die
Niederlande, aber auch direkt und durch eine
wachsende Flut von Tafelwerken und Traktaten
vermittelt wurde und so im 16. Jahrhundert allge-
meine Verbreitung gefunden hatte, im Umkreis
dieser Architektur nur noch an der „schönen
Thür“ des Turm- und Haupteinganges und den 35
Aufsatzgiebeln der Langseitenfronten zu finden.
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