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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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HÄRMEN THIES


32 Nordportal der Halle.


33 Säulenputto des Nordportales.

Thema der Architektur scheint demnach nicht
allein das Kombinieren von Elementen, hier „Fen-
ster“ und „Portal“, zu neuen Gebilden, sondern
zugleich das bewußte Mischen heterogener, „go-
tisch“ oder aber „welsch“ geprägter Formen zu
sein. Die Beständigkeit der dementierten „Ingre-
dienzien“ und damit ihre Isolierbarkeit gegenüber
den Kombinationen erweisen sich als charakteri-
stisch für Entwurf und Architektur der Marien-
kirche.
Wiederum sollen Hinweise genügen, um dieses
Vorgehen auch für die Gliedarchitekturen der Por-
tale und Giebel erkennbar werden zu lassen. Die
komplexere, wohl auch bessere, zudem früher ent-
standene Portalarchitektur findet sich auf der
32 wichtigeren Nordfront. In ihr erscheinen die anti-
ken, von der Renaissance zu neuer Wirkung ge-
brachten Anlageschemata des „Theaterwand-Mo-
tivs“ und des „Ehrenbogens“ mit der Blockfront
eines hohen Postamentes für das aufgesetzte Lan-
zett-Rahmen-Fenster so versammelt, daß die Ele-
mente des Aufbaus auch noch in der Kombination
ihre relative Eigenständigkeit wahren und demge-
mäß beschreibend aus dem Verband herauszulösen
sind. Unterscheiden lassen sich ein Reliefgrund,
der als Blockfront mit eingeschnittenen Bogenöff-
nungen für das Portal selbst und zwei flankierende
Nischen gebildet ist, eine massive, Pfeiler und Bo-
gen kombinierende Grundstruktur. Davor ist ein
verdachter Säulen-Balken-Rahmen aufgebaut, der
gemeinsam mit der Blockfront des Grundes einen
mächtigen Postamentstein trägt, der wie die Attika

eines antiken Ehrenbogens die Portalarchitektur
zum Abschluß bringt und gleichzeitig zur Basis des
Lanzett-Rahmen-Fensters, der Supraporte dieser
Anlage, wird. Die Flankennischen bezeichnen die
Achsen der breiten Bogenpfeiler, die zwar kräftig
aufgebaut, aber dennoch nicht — man achte auf die
Nischenverdachung — zum Tragen des lastenden
Dachbalkens und des aufgesetzten Attikaposta-
mentes herangezogen sind. Dies bleibt vielmehr
den reich dekorierten Postament-Säulen vor den
Nischen überlassen. Diese Säulen scheinen „ei-
gentlich“ in die von ihnen verstellten Nischen zu
gehören, jetzt aber zugunsten ihrer Aufgabe, den
Giebelbalken zu tragen, über sich hinausgewach-
sen und aus der Nische vorgetreten zu sein: Sie
werden zu Mittlern zwischen dem massiven Pfei-
ler-Bogen-Grund und dem Gliederbau des vorge-
stellten Rahmens. So trägt die Säule in ihrer Be-
schlagwerk-Gamasche einen kleinen Putto, der als 33
das ihr innewohnende figürliche Moment bezeich-
net werden kann; gehörte dieser Putto doch eher in
die für ihn geschaffene Nische als auf den Säulen-
schaft; ja, um dort zu passen, ist er um jenes Maß
„zu klein“, das die Säule — als Nischenfigur — zu
groß geworden ist. Die weit vorgebaute Schluß-
steinkonsole des Portalbogens trägt die Tympa-
nontafel einer von reichem Beschlagwerk gerahm-
ten Inschrift-Kartusche, stützt aber auch den auf-
fallend schweren, für die beiden Säulen viel zu weit
gespannten Rahmenbalken. Dieser Balken wird
nur dadurch wirklich „schwer“, daß er das Giebel-
dreieck nicht als ein eigenes Gebilde auf dem Ge-

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