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P%72
URCH die Bildgröße und den Figurenmaßstab werden Ar-
H beitsweise und Stil mitbestimmt. Im Zwange des Auftrags hat
R wohl jeder niederländische Maler im 15. Jahrhundert kleine,
mittelgroße und große Tafeln auszuführen übernommen, und mehr
oder weniger, je seiner Natur nach, dem stilprägenden Drucke der
Dimension nachgegeben. Die Kunstkritik hat in vielen Fällen das
Hindernis des Formatwechsels nicht überwinden können und, ver-
wirrt durch Stildifferenz, die von dem Formatwechel stammt, die
Identität der gestaltenden Kräfte nicht mehr wahrgenommen, so im
Falle des Dirk Bouts. Jeder Begabung ist ein Format gemäß und na-
türlich, wenngleich Anpassungsfähigkeit in mehr oder weniger hohem
Grade vorauszusetzen ist und bemerkt wird. Ganz allgemein ist kleiner
Maßstab der mit der Miniaturmalerei stammverwandten altnieder-
ländischen Tafelmalerei bequem und angemessen. Und über das
Schaffen nicht weniger Niederländer läßt sich das Urteil fällen: die
Qualität steigt und fällt im ,,umgekehrten Verhältnis" zum Bildmaß-
stab. Dies gilt gewiß von Petrus Christus und dem Brügger Maler, den
wir Adriaen Ysenbrant nennen. Andere, darunter berühmte Meister,
kommen nicht ohne Schaden über ein mittleres Maß hinaus, wie
Memling und Gerard David, deren in spanischem Auftrag geschaffene
Altarwerke (die Orgeltafeln aus Najera im Antwerpener Museum und
der Annen-Altar in der Widener-Sammlung zu Philadelphia^) als zu
groß empfunden werden. Hier und sonst off stellt sich das Gefühl ein,
vor vergrößerten, statt vor großen Gestalten zu stehen, das unbehag-
liche Gefühl, daß Vortrag und Maßstab nicht zueinanderpassen, daß
Formenkenntnis, Beobachtung und Inhalt die erweiterten Grenzen
nicht ausfüllen.
Dirk Bouts scheint ängstlich zu werden, sobald er sich der Größe
des Lebens nähert. Seine gleichsam kurzsichtige, Stück für Stück er-
ledigende Gestaltung scheut ausgedehnte Flächen. Memling und
Gerard David scheinen mit Erfindung und Konzeption große Flächen
eher bewältigen zu können, nicht aber mit dem Formeninhalte. End-
lich besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen Geisteskraft
und Bildgröße. Nur eine innerlich große und tiefe Begabung vermag
weite Räume so auszufüllen, daß die Verhältnisse natürlich erscheinen,
daß kein peinigender Widerspruch zwischen Inhalt und Form entsteht,
i Jetzt in der National Gallery of Art, Washington.
 
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