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Die Gartenkunst — 14.1912

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Staehle, ...: Die Gartenkunst in ihrer Stellung zum Kunst- und Kulturleben unserer Tage: Vortrag
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XIV, 15

DIE GARTENKUNST.

223

Renaissance. Ihre Kunstgedanken entsprangen dem
Zeitgeist und den Lebensbedingungen. Keine Kunst-
richtung von bleibender Bedeutung konnte sich dem
verschließen, wenn sie verstanden sein wollte. So
muß auch die Gartenkunst, will sie lebensfähig bleiben,
ein Produkt unserer modernen Lebensanschauung und
Lebenserkenntnis sein.

Unsere Zeit zu charakterisieren ist ein schwieriges
Unternehmen, da sie noch nicht abgeklärt erscheint
und gar vielgestaltige Kräfte Zusammenwirken. Aber
einige typische Erscheinungen, die Wert auch für die
Stellung der Gartenkunst haben, erkennen wir sehr
deutlich und sie bedingen ihre Formensprache.

Unsere Zeit kennt in ihrer Großartigkeit keine
Beispiele, keine Vergleiche. Mit dem Zeitalter der
Erfindungen ist in der Tat ein vollständig neues Men-
schengeschlecht groß geworden. Zeit und Raum sind
überbrückt durch Einrichtungen der mannigfachsten
Art. Es ist als ob der heutigen Menschheit die Last
der Erdenschwere abgenommen wäre. Der Geist
herrscht über die Materie. Ungeahnte Kräfte sind der
Natur entnommen, die vor den Kulturwagen gespannt
sind und ihn in rastlosem Lauf weiter bringen. Der
Herr der Erde hat wohl nie mehr Anlaß gehabt seines
Triumphes sich zu freuen, als heutzutage. Immer mehr
werden die Zufälligkeiten der Natur mit ihrer Menschen-
werke zerstörenden Gewalt zurückgedämmt. Kein
Wunder, daß dieser Gewinn, der sich rechnerisch aus-
drücken ließ in früher angewandter vitaler Kraft, die
Menschheit so in Beschlag nahm, daß alle Größe
menschlichen Könnens in der Ausbeutung dieser Er-
rungenschaften gesehen wurde. Es schien, als ob die
Kunst ganz der Technik geopfert wäre. Wir haben
es selbst miterlebt, welchen Tiefstand unser Kunst-
leben erreicht hatte, wie arm an Kunstgedanken das
Zeitalter der Erfindungen zu Anfang war. Und vollends
dieser technisch so ausgebildeten Zeit mit ihrem Hasten
und Drängen, ihrem Sinn für das praktische und
nüchterne künstlerisch gerecht zu werden, das schien
lange beinahe unmöglich. Da und dort lebten nach
wie vor Künstlernaturen, denn es wäre ja undenkbar,
wenn der Drang zum Kunstschaffen ein für allemal
erloschen gewesen wäre, aber sie lebten doch zurück-
gezogen, unbeachtet vom großen Weltgetriebe. All-
mählich erst vollzog sich die Einstellung des Lebens
der Kulturvölker in die neu erworbenen technischen
Vervollkommnungen und erst mit der Gewöhnung an
sie erwachte auch wieder allgemein der Trieb zu
künstlerischer Betätigung, zu einer Ausschmückung
des Lebens mit Schönheitswerten. Und dann kam
auch die Erkenntnis, daß zwischen der Gegenwart
mit ihrer Bezwingung gigantischer Naturkräfte und der
Kunst kein Zwiespalt entstanden ist, sondern im Gegen-
teil gerade hier ein neues nie bearbeitetes fruchtbares
Feld für Kunstbetätigung sich bot, daß in dem Maße
wie die Künste der Besonderheit ihrer Zeit gefolgt
sind, das Wesentliche des täglichen Lebens zu einer
künstlerischen Form zusammengesetzt haben, im selben

Maße eine solche Kunstepoche aus allen anderen sich
hervorhebt.

Die technischen Errungenschaften haben das Leben
des einzelnen, wie der Völker untereinander beeinflußt.
Scheint es auch, als ob für einen großen Teil der
Menschheit die Technik die Beraubung ihrer persön-
lichen Freiheit gebracht hätte, indem sie zu Sklaven
der Maschine wurden, die unerbittlich ihnen die Arbeits-
verrichtung vorschreibt, so ist doch in der Tat der
Gewinn ein solcher, daß sich die Lebensführung jedes
einzelnen gehoben hat. Der Kulturfortschritt kommt
allen zugute in den mannigfachsten Einrichtungen
der sozialen Bestrebungen.

Das Leben des einzelnen erfuhr eine Bereiche-
rung, aber auch der Verkehr der Völker untereinander.
Wenn wir von Kunstepochen früherer Jahrhunderte
sprachen, so decken sie sich meistens mit einem
ganz bestimmten Volke. Die griechische Kunst mit
den Hellenen, die Renaissance mit Italien. Völkische
Sitten, völkische Kunst war begrenzt und erhielt
sich rein innerhalb der Landesgrenzen. Natürlich
kamen andere Völker und bereicherten sich an den
Kunstschöpfungen. Aber im großen ganzen ent-
wickelt sich die Kunst national. Im Gegensatz dazu
steht unsere Zeit, die wie keine Zeit zuvor inter-
nationale Kunst betreibt. Den Austausch geistiger
Güter hat die Technik ungemein vereinfacht, wodurch
die Ähnlichkeit der Kunstanschauungen und der Lebens-
führung der Kulturvölker mit begründet ist. Von einer
volkstümlichen Kunst können wir kaum irgendwo in
Europa noch etwas verspüren. Nach wie vor werden
die Kunstgedanken durch die besondere Art des Volks-
empfindens eine Vertiefung und Anpassung erfahren,
ohne aber in ihrer gemeinsamen Hauptrichtung sich
verschieben zu lassen. Mag man politisch über die
Nationentrennung denken wie man will, in der Kunst
müssen die Wege, die unsere Zeit von Volk zu Volk
gebahnt hat, offen bleiben zur Mehrung geistiger Güter.
Wo so viel Kräfte gemeinsames erarbeiten, da wird
in nie geahnter Weise eine Belebung der Kunst zu er-
warten sein.

Ein Jahrhundert, das im Technischen so unerhört
groß dasteht, das im Geistigen nicht weniger alle
völkisch enggesteckten Grenzen übersprungen hat,
ist an sich monumental wie keine Epoche zuvor. —
Und so bleibt denn die Folge für die Kunstübung nicht
aus. Die Architektur hat vielleicht zuerst von allen
Künsten den praktischen Forderungen unseres Lebens
Rechnung getragen und sich einen Stil geschaffen,
der monumental geworden ist, wie es etwa die
griechischen Tempel zu ihrer Zeit gewesen sind.
Denken Sie an die gewaltigen Paläste, wie sie Handel
und Industrie erstellen lassen, das sind kühne, ge-
waltige Leistungen der Baukunst. Auch in der Malerei
ist der Wille zum Monumentalen nicht wenig augen-
fällig. Wir bewundern in den Schöpfungen modernster
Meister die große Linie, den wundervollen Rhythmus
aller Bewegtheit unseres vielgestaltigen Lebens. Wirk-
 
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