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Glaser, Curt; Cohn, William [Hrsg.]
Die Kunst des Ostens (Band 11): Ostasiatische Plastik — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.53084#0083
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DIE KUNST DER SUNG-ZEIT IN CHINA

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in Japan ausgeht, eine Gruppe von immerhin nicht unbedeutenden Statuen
trifft, die in jüngerer Zeit in China zum Vorschein gekommen ist. Es sind die
großen, aus glasiertem Ton gebildeten Lohan-Figuren (150—152), deren eigen-
tümlich ungebundener Realismus grundsätzlich jeder früheren Form künst-
lerischer Äußerung im Bereiche östlicher Plastik entgegengesetzt ist. Niemals
zuvor waren die Züge des menschlichen Antlitzes so frei nachgebildet worden.
Hatten die älteren Bildhauer in ein im voraus fest organisiertes Formensystem
die Züge individueller Sonderbildung vorsichtig eingetragen, waren sie zum
Porträt überhaupt erst auf der Grundlage eines allgemein gültigen Schemas
der Menschendarstellung, zur Ausdrucksgebärde auf dem Umwege über eine
maskenhaft erstarrte Grimasse gelangt, so wird nun umgekehrt der Typus
des Lohan aus der Beobachtung des menschlichen Einzelfalles gewonnen,
bewegliches Innenleben in den Zügen eines Antlitzes zum Ausdruck gebracht,
das aus der Ruhelage der Außenwelt abgekehrter Meditation befreit ist. Der
ehemals streng frontalen und symmetrisch geordneten Sitzfigur teilt sich ein
eiferndes Leben mit, indem der Kopf sich wendet, in scharfer Drehung ein-
mal fast ins Profil gerückt ist, indem die Hände zu agieren beginnen, frei etwa
in zufälliger Geste eine erhobene Rechte, deren Rücken sichtbar wird, gleich-
sam unbewußt die Falten des Gewandes vor der Brust zu fassen scheint. Der
neue Typus der Lohandarstellung, der mit der alten, aus derT’angzeit über-
lieferten Form bildlicher Wiedergabe der Buddhaschüler gar keine Ähnlichkeit
besitzt, findet in der Malerei der Sungzeit, etwa in den berühmten Bildern
des Myöchö, eine Parallele, und man muß auch im weiteren Sinne an dieAnalogie
gleichzeitiger malerischer Ausdrucksform denken, an den breiten und freien
Pinselstrich, der die spitzlinige Umrißzeichnung älterer Epochen abgelöst hat,
wenn man die von jeder früheren Form grundsätzlich sich unterscheidende
Behandlung des Gewandes verstehen will, dessen dichte Massen, sich natürlich
lagernd, in wulstigen Falten, unabhängig geworden, den Körper umhüllen.
Den großen Tonstatuen der Lohan schließt sich eine kleine Zahl von Bild-
werken in anderem Material an, deren Datierung in die Epoche der Sung-
dynastie im Vergleich mit den Bildwerken der Kamakurazeitjapans an Wahr-
scheinlichkeit gewinnt. Es gibt eine auf barockem Felsen thronende hölzerne
Sitzfigur der Kuanyin (153), deren Sanskritname im Chinesischen in „die Ge-
beterhörende“ umgedeutet wurde, ein Bildwerk, das wohl verständlich erscheint
in der Nähe der Umbildung altbuddhistischer Götterdarstellung durch die
 
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