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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0063
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Deutschlands Kunstschätze. 33
strahlenden Glanze, erschienen. Der Mann trug einen niedrigen Klapphut, wie damals meist
die Seeleute, und hatte den Kopf dermaßen in ein rothgemustertes Tuch eingebunden, daß von
dem Haar nichts zu sehen war. Ein grauer, wollener Kittel und eben solche Beinkleider verhüllten
fast die Umrisse der Körperformen, die fest und kurz zu sein schienen. Der Mensch war barfuß.
Als er sich seitwärts wandte, sah Mignard, daß der Gast eine Halblarve von Draht trug, wie ein
Arlecchino der Bühne..
„Gherardesca!" tönte es im Innern des vor Todesangst Schweiß vergießenden Malers. „Er
kommt, der Wahnsinnige, um mir das Bild Maria Mancini's zu stehlen."
Dieser Gedanke gab dem Meister seinen Muth wieder. Einem gewöhnlichen Räuber gegen-
über würde er sich zitternd unter die Bettdecke gesteckt haben; aber mit diesem enthusiastischen
Kunstfreund ließ sich am Ende ein Wort reden und wenn sich Mignard auch zu einer Wiederholung
des Bildes aus dem Gedächtniß heraus verpflichten sollte.
Er sprang daher kühn vom Lager auf und rief:
„Signor Gherarda, ich wollte sagen Gherardesca! Ihr habt mich vor Schrecken fast um
mein Gedächtniß gebracht! Was, um aller heiligen Patrone der Künste, soll diese entsetzliche Scene
bedeuten?"
Mignard stand jetzt mitten im Zimmer.
Der Fremde stieß einen kurzen, rauhen Ton aus, drehte sich um, setzte das Licht vorsichtig
mitten auf einen Tisch und legte mit einem Griff und Schwung den Meister Mignard, mit dem
Gesicht nach unten, auf das Bett, welches er soeben verlassen hatte.
Mignard lag einige Augenblicke ganz ruhig, wie ein Fisch, der soeben aus dem Wasser ge-
zogen und aufs Land geworfen wurde. Der Fremde flüsterte ihm mit heiserer Stimme zu:
„Ruhig, gauz ruhig, Herr Onkel; dann läßt sich Alles friedlich zu Ende bringen. Aber ver-
sucht Ihr Lärm zu machen, so werde ich Euch meinen Dolch in die Gurgel stoßen. Ich habe es
weder auf Eure vielen Goldstücke noch auf Eure Sammlung von kostbaren Ringen, Petschaften
und Tabaksdosen abgesehen.. ."
„O, ich bin sehr arm; Ihr irrt Euch, wenn Ihr meint, daß ich Geld und Pretiosen besitze.."
sagte Mignard mit ganz feiner Fistelstimme. . ."
„Eure Versicherung ist mir gleichgiltig... Ich will eines Eurer Bilder holen; das ist für
Euch, welcher alle Tage dergleichen wieder fertig pinseln kann, so gut wie gar kein Verlust ..
Also, kann ich mich aus Euch verlassen, Herr Onkel? Werdet Ihr mir den Messerstoß ersparen?"
„Ich schwöre..."
„Nun dann setzt Euch aufrecht"
Der arme Mignard saß aus dem Bettrande und starrte seinen Gewaltigen an, der eine lange
dünne Schnur aus dem Kittel hervorzog und eine weite Schlinge machte.
„Herr Gherardesca . . .", flüsterte Mignard.
„Ach, Ihr macht Euch trotz Eures Versprechens unnütz", murmelte der Gast. „Ich will Euch
etwas mittheilen, was Euch vollkommen beruhigen wird."
/ Er kam dem Maler näher, als wolle er ihm etwas zuflüstern; aber blitzschnell hatte er den
Kopf desselben eisenfest mit feinem linken Arm umschlungen. Mignard, der keinen Athem zu Holen

Deutschlands Kunstschätze. II

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