Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0064
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
34 Deutschlands Kunstschatze.
vielweniger zu schreien vermochte, sperrte den Mund auf, worauf sein Peiniger ihm mit leichter
augenscheinlich geübter Hand eine in ein feines Tüchlein eingeschlagene Mundbeere applicirte.
„Ihr seid ein schwatzhafter Mensch", sagte der Fremde, wie ein Schulmeister den Finger er-
hebend. „Ich kann mich aus Euch durchaus nicht verlassen und muß mich nach Bürgschaften für
Euer loyales Benehmen umfehen."
Hierauf knebelte er dem Maler Hände und Füße, betrachtete feine Arbeit mit der Miene
eines befriedigten Kenners und ging dann pfeifend in das Atelier, wo er" einige Augenblicke umher-
leuchtete und dann das Bildniß Maria Mancini's von der Staffelei nahm.
Mignard's innere Bewegung ward so heftig, daß er sehr wider seine Absicht mit den Füßen
zappelte und stampfte.
„Herr Onkel?" sagte der Fremde warnend. „Ich werde mich einige Augenblicke entfernen;
aber ich komme wieder und tödte Dich, wenn Du stampfst und pochst und mir Deinen ungeschlachten
Auvergnaten auf den Hals schicken willst."
Mignard ward mäuschenstill.
Das Schubfenster ward gehoben und das Bild an der langen Schnur hinabgelassen auf die
Straße. Dann befestigte der Gast die Schnur an einer starken, rasch in das Fensterbret gebohrten
Schraube, nahm den Hul ab und schwenkte denselben triumphirend.
„Gute Nacht, lieber Herr Onkel", sagte er. „Nehmt es nicht übel, daß ich Euch gestört habe.
Sollten die Schnüre Euch ein wenig drücken, so ist es rathsam, daß Ihr die schmerzenden Stellen
morgen mit gutem Mohnöl reibt. Tröstet Euch über Euer Mißgeschick damit, daß es nicht die
schlechten Maler sind, denen Bilder gestohlen werden. Behül ' Euch Gott, Herr Onkel!"
Damit schwang sich der Dieb zum Fenster hinaus.
Mignard erhob sich und trotz der Fesseln an den Füßen gelang es ihm, zum Fenster zu
Hüpfen, wo er eine verzweifelte Anstrengung machte, den Knebel aus seinem Munde zu entfernen.
Es gelang nicht und so mußte er sich, anstatt durch ein Geschrei die Nachbarn zu alarmiren, be-
gnügm, in den Ooin ä'or hinabzuschauen, wo der in der Dunkelheit kaum als ein Schatten be-
merkbare Dieb eben das Bild aufnahm und langsam sich in der Richtung nach den Tuilerien
entfernte.
Da das Licht auf dem Tische brannte, so konnte der Maler untersuchen, wie er am bequemsten
die Thür des Zimmers öffnen könne. Nach langen Experimenten gelang ihm dies und er hüpste
nun wie ein Rabe entlang des Corridors und kam an einen, dicht am Treppenpfosten stehenden
kleinen, aber schweren Tisch, den er umstürzte. So wie der Tisch polternd die Stufen Hinabfuhr,
erhob sich unten die ranhe Stimme des riesigen Christoph: „Wer da?" Obgleich Mignard krampf-
haft emporhüpfte und ziemlich vernehmlich den Fußboden berührte, so würde der Portier doch nicht
treppan gegangen sein, wenn er nicht über den unten liegenden Tisch gestolpert wäre. Der Riese
kam herauf und fand seinen Herrn, den er in wenigen Minuten von seiner Qual befreite.
Es ist begreiflich, daß für den Maler der Schlaf für diese Nacht ein Ende gefunden hatte.
Die Hausgenossen wurden geweckt und Mignard erzählte seine schrecklichen Erlebnisse immer
wieder von Neuem. Er war fest überzeugt, daß es Gherardesca gewesen sei, welcher ihm den Be-
such abgestattet Hatte. Mignard entwarf Hundert Pläne, in Güte oder durch eine listige Vorspie-
gelung sich wieder in den Besitz des Bildes zu setzen, um den Enthusiasten, trotzdem, daß derselbe
 
Annotationen