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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0117
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Deutschlands Kunstschütze. 75!
stimmung, die ihn später das Leben wie einen aufdringlichen Plagegeist fortwerfen ließ, und hörte
augenscheinlich nichts von dem Klingen der Gläser in seiner unmittelbaren Nahe
Urplötzlich stand er auf und nahm den Mantel um.
„Wohin denn, Waldl?" fragten beide Anderen erstaunt.
„Bleibt hier, jedenfalls, bis ich zurück sein werde", sagte Mayrhofer befehlend
„Ah! Und wann Du darauf vergessen wirst, daß wir hier sitzen und auf Dich warten —
wie dann?"
„Bleibt hier!"
Und Waldl war verschwunden.
Nach einer halben Stunde etwa kam im schärfsten Trabe ein Fiaker an und setzte den Waldl
auf's Pflaster.
Er hielt ein kleines Buch, ein Blatt Papier und einen Bleistift in der Hand, vergaß seinen
Hut im Wagen und war in sehr aufgeregter Stimmung.
„Ich bin gleich damit durch, Brüder!" sagte er, sich in eine entfernte Ecke an einen Tisch
werfend und eifrig lesend und schreibend, während ihn die Freunde staunend betrachteten.
Es währte nur kurze Zeit, da erhob sich der Waldl, strich das Haar, wie immer, vergebens
aus der Stirn, nickte dem Wirthe gebieterisch, sich ruhig zu verhalten — Gäste waren außer den
Dreien nicht gegenwärtig — und fing dann mit flötenreicher Stimme zu lesen an:
„Ave Maria! Jungfrau mild,
Erhöre einer Jungfrau Flehen:
Aus diesen Felsen, starr und wild,
Soll mein Gebet zu Dir hinwehen!
Wir schlafen sicher bis zum Morgen,
Ob Menschen noch so grausam sind!
O, Jungfrau, sieh der Jungfrau Sorgen;
O, Mutter, hör' ein bittend Kind!
Ave Maria!
Ave Maria! Unbesteckt!
Wenn wir auf diesen Fels hinsinken,
Zum Schlaf und uns Dein Schutz bedeckt,
Wird weich der Hacke Fels uns dünken!
Du lächelst, Rosendüfte wehen
In dieser dumpfen Felsenschlucht,
O, Mutter, hör' der^Jungfrau Flehen,
O, Jungfrau, eine Jungfrau ruft!
Ave Maria!
Ave Maria! Reine Magd!
Der Erde und der Luft Dämoneu,
Von Deines Auges Huld verjagt,
Sie können hier nicht bei uns wohnen!
Wir woll'n uns still dem Schicksal beugen,
Da uns Dein Heil'ger Trost anweht;
Der Jungfrau wolle hold Dich neigen —
Dem Kind, das für den Vater fleht - —
Ave Maria!"

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