78 Deutschlands Kunstschätze.
mit einer Art Grauen betrachtete. Der Marchese Hatte in der That etwas Lüsternes, Furchtbares
— ein Vampyr der großen Welt. Marie war sehr bleich geworden und erschien vielleicht desto
schöner. Der Baron Liechtenstern war in Musikenthusiasmus aufgelöst.
Schubert saß am Clavier. Seelenvoller als er spielte selten ein Künstler, obwohl er keines-
wegs virtuosenhaft sein Instrument behandelte. Es war bereits eine halbe Stunde musicirt, als
Marie von Liechtenstern, von der Gräfin Weißenwolf in fast feierlicher Art geführt, mit dem Noten-
blatt zu Schubert an das Instrument trat und mit silberreiner Stimme das getragene „Ave
Maria", intonirte, als das auf Harfenklaug deutende Vorspiel im Pianissimo verklang.
Der Eindruck des hinreißenden Gebets ist nicht mit Worten wiederzugeben. Der Vater
Marien's fing erst allmälig an zu begreifen, daß Er es sei, welcher bewogen werden solle, das über
die Tochter gefällte Todesurtheil zurückzunehmeu.
Als Marie des Vaters am Schlüsse des Gebets erwähnte, traf ihn ein flehender Blick!
Liechtenstern sprang auf und faßte Marie in seine Arme, eben als sie anfing, ihr Bewußtfein ein-
zubüßen. Den Rest des Abends blieben die Liechtensterns unsichtbar; aber es war etwas Wichtiges'
vorgegangen, wie man sich in der Gesellschaft zuflüsterte. Die Familie war im Begriff, sich nach
Italien zu begeben, wo die Hochzeit auf den Gütern des Marchese gefeiert werden follte.
In einer Zwischenpause ward Schubert hinausbeschieden. Die beiden Damen von den
Wieden standen vor ihm. Marie schloß den verwirrt dastehenden Künstler frisch und frank in
die Arme.
„Er verdient's!" sagte die Baronin. „Mehr als Dein Leben hat er Dir und mir gerettet.
Herr Schubert — in gewissen Augenblicken, und wohl den höchsten, hat das Wort keine Kraft
mehr ... Wir können nicht danken, denn der Ausdruck unseres Dankes erschöpft unsere Herzens-
gefühle nicht. Aber wir werden Ihnen ein ewiges Angedenken bewahren ... Der Marchese ist
abgewiesen und befindet sich bereits auf dem Wege nach seinem Heimatslande.."
„Danken Sie nicht mir", antwortete Schubert gerührt. „Wenn da Jemand geholfen hat,
so bin ich's wohl nit so sehr gewesen, als im Belvedere zu Wien Rasael's: Jungfrau im
Grüuen!"
mit einer Art Grauen betrachtete. Der Marchese Hatte in der That etwas Lüsternes, Furchtbares
— ein Vampyr der großen Welt. Marie war sehr bleich geworden und erschien vielleicht desto
schöner. Der Baron Liechtenstern war in Musikenthusiasmus aufgelöst.
Schubert saß am Clavier. Seelenvoller als er spielte selten ein Künstler, obwohl er keines-
wegs virtuosenhaft sein Instrument behandelte. Es war bereits eine halbe Stunde musicirt, als
Marie von Liechtenstern, von der Gräfin Weißenwolf in fast feierlicher Art geführt, mit dem Noten-
blatt zu Schubert an das Instrument trat und mit silberreiner Stimme das getragene „Ave
Maria", intonirte, als das auf Harfenklaug deutende Vorspiel im Pianissimo verklang.
Der Eindruck des hinreißenden Gebets ist nicht mit Worten wiederzugeben. Der Vater
Marien's fing erst allmälig an zu begreifen, daß Er es sei, welcher bewogen werden solle, das über
die Tochter gefällte Todesurtheil zurückzunehmeu.
Als Marie des Vaters am Schlüsse des Gebets erwähnte, traf ihn ein flehender Blick!
Liechtenstern sprang auf und faßte Marie in seine Arme, eben als sie anfing, ihr Bewußtfein ein-
zubüßen. Den Rest des Abends blieben die Liechtensterns unsichtbar; aber es war etwas Wichtiges'
vorgegangen, wie man sich in der Gesellschaft zuflüsterte. Die Familie war im Begriff, sich nach
Italien zu begeben, wo die Hochzeit auf den Gütern des Marchese gefeiert werden follte.
In einer Zwischenpause ward Schubert hinausbeschieden. Die beiden Damen von den
Wieden standen vor ihm. Marie schloß den verwirrt dastehenden Künstler frisch und frank in
die Arme.
„Er verdient's!" sagte die Baronin. „Mehr als Dein Leben hat er Dir und mir gerettet.
Herr Schubert — in gewissen Augenblicken, und wohl den höchsten, hat das Wort keine Kraft
mehr ... Wir können nicht danken, denn der Ausdruck unseres Dankes erschöpft unsere Herzens-
gefühle nicht. Aber wir werden Ihnen ein ewiges Angedenken bewahren ... Der Marchese ist
abgewiesen und befindet sich bereits auf dem Wege nach seinem Heimatslande.."
„Danken Sie nicht mir", antwortete Schubert gerührt. „Wenn da Jemand geholfen hat,
so bin ich's wohl nit so sehr gewesen, als im Belvedere zu Wien Rasael's: Jungfrau im
Grüuen!"