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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0162
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!106 Deutschlands Kunstschätze.
-— wenn ich ein Maler wäre — würde für mich fortwährend an reizender Kraft verlieren, wollte
ich sie öfter malen! Und ein Dichter muß, wenn er viele Gedichte an seine Dame macht, noth-
wendig die Liebe aus- und fortschwingen! Oder singt er lange, so wird die Geliebte zu einem
Gedankendinge, das mit der lebendigen Frau zuletzt gar keine Aehnlichkeit mehr aufzuweisen hat.
Malt mich immerhin, Carracci — das wird Euch wohlthun und mir eine lang dauernde Freude
bereiten."
„Ihr könnt, was Ihr wollt, Madonna", antwortete Annibale. „Wolltet Ihr mir auf der
Stelle das Gegentheil von Dem beweisen, was Ihr jetzt sagt, ich zweifle nicht, daß ich Euch auf's
Wort aus innerstem Herzen glauben würde! Gut, ich male Euch — verliebter, als ich's bin, kann
ich ja doch nicht werden Das ist auch ein Trost."
Als Annibale sein Malgeräth im Häuschen Olivia's aufgestellt hatte und sich zur Arbeit
vorbereitete, erstaunte er nicht wenig, als Olivia mit Elisabetta eintrat und sammt dem Kinde in
der Ordenstracht der Franciscanerinnen erschien.
„Was soll das?" rief Annibale. „Ist das eine Hinweisung darauf, welchen Schritt Ihr zu!
unternehmen gedenkt, wenn Ihr von mir geschieden sein werdet, Olivia?"
„Wer weiß, Signor Annibale!" sagte die schöne Frau, die Kapuze über ihr Haar herabziehend!
und sich niederlassend, um den Rosenkranz dem Mädchen vorzubeten, der zwischen ihren Knieen
lehnte.
„Das ist ein zu trüber, grauenhafter Anblick!" rief Annibale aus.
„Desto mehr wird er für mich geeignet sein! Malt mich, so wie ich hier bin und ich werde!
Euch danken! Vielleicht kommt die Zeit, wo ich Euch sagen darf, warum ich so und nicht anders
gemalt zu sein wünsche."
Annibale gehorchte und wenige seiner Bilder dürften diese Gruppe übertroffen haben — das !
blondgelockte Kind, das mit glücklichem Lächeln nach dem Rosenkranze wie nach einem Spielzeuge greifti
und die Ordensschwester, die trübe ermißt, daß ihr die weite Erde nichts als nur den trocknen
Beterkranz darzubieten Hat. Das Bild ward im Kniestück in wenigen Tagen vollendet und
Annibale sagt Olivia Lebewohl.
Jetzt erst, nachdem er sich wieder bei Lodovico blaß und verdüstert einfand, erfuhr er, daß
Godefroy mehrfach sich Hatte nach ihm erkundigen lassen. Annibale faßte Muth und ging zur!
Farnesina
Godefroy musterte ihn blinzelnd und schien erfreut, den Maler wiederzusehen.
„Nun, Meister, seit Ihr bereit, Eure Galerie wieder in Angriff zu nehmen?" fragte er. „Ich
habe nach Euch fragen lassen, aber ohne Zweifel wäret Ihr auf der Jagd nach reizenden Modellen
und so habe ich für gut gehalten, Euch nicht förmlich einzuladen. Seid willkommen!"
Carracci strich den Bart und murmelte etwas vor sich hin
„Oder habt Ihr nichts gefunden, als was schon von Dutzenden von Malern mit gehörig
variirten Grimassen auf die Leinwand und die Mauern gepinselt wurde?" fragte Godefroy.
„Signor", sagte der Maler, „seit ich nicht hier war, habe ich eingesehen, daß Ihr mit Eurem
Urtheil über den Beginn meines Gemäldecykels völlig im Rechte wart!",
„Wie? Ich mache Euch das Compliment, Monsieur, daß Ihr nicht allein der größte, sondern
auch der aufrichtigste aller Maler Roms seid!" rief Godefroy sichtlich erfreut. „Ihr habt inzwischen
 
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