122 Deutschlands Kunstschätze.
er die Eintretenden mustern konnte. Der gestrenge Herr wandte sich nicht um, sondern schrieb mit
finsterer Miene; sah scharf in den Spiegel und schrieb weiter, Slingeland stand wie aus Kohlen.
Sein einziger Trost war ein Bild seines Meisters Dow, das dicht neben dem Spiegel hing. Es
waren zwei Raucher, die Mangolden mit zweitausend Gulden für jeden Raucher bezahlt Hatte.
Der Bürgermeister drehte sich sammt dem Obertheile seines Sessels um. Seine buschigen,
weißen Augenbrauen verbargen fast die stechenden grauen Sterne. Das hochgeröthete Gesicht hatte
etwas Bullenbeißermäßiges.
„Also Ihr seid der lockere Bogel, der sich einen Spaß daraus macht, den guten Ruf ehrsamer
Jungfrauen zu vernichten"; fing der alte Herr an. „Schweigt, bis ich Euch frage! Wäre hier nicht
von meiner Tochter, sondern von einem andern unbescholtenen Mädchen die Rede, so kann ich sagen,
daß ich Euch bis zu ausgemachter Sache in den Bürgergewahrsam stecken ließe und wäre dies Jahr
und Tag. Da aber meine Tochter als die Beschimpfte und Beleidigte erscheint, so halte ich es für
meine Pflicht — zunächst gegen mich selbst — mit äußerster Milde vorzugehen und erst dann zu Här-
teren Mitteln zu greifen, wenn Güte nichts verfangen will . .. Wer war bei der Scene auf dem
!Kirchhofe außer den Malern Netscher, Mieris, Schalken und dem Gewürzhändler Lukas van Man-
golden zugegen?"
„Es versammelten sich allerdings einige Zuschauer" ... sagte Slingeland leise.
„Sehr viele! Ich will wissen, wer mit Euch im Complot gewesen ist; wer nähern oder
entferntern Antheil an Eurem nichtswürdigen Streiche gehabt hat .. ."
„Mynheer, es hat durchaus keine Verabredung bestanden. Mangolden gab mir ein Bouquet
mit dem Wunsche, daß ich dasselbe Jeoffrouw Gescha van Mangolden überreichen sollte .. ."
„Ah, das war das Mittel, um Gescha zu veranlassen still zu stehen. Ihr hättet ja sonst Eure
Flausen nicht anbringen können ... Leugnet Ihr, daß eine Verabredung bestand, meine Tochter zu
veranlassen, Euch, einen ihr außerdem ganz Unbekannten, auf offener Straße zu küssen?"
„Mynheer, Mangolden und ich und auch meine Collegen waren allerdings im Gespräch; aber
das betras nicht Gescha van Mangolden. Unsere Aufmerksamkeit ward erst dann erregt, als die
Dame mit ihrer Begleiterin draußen vor der Kirche erschien. Von dort bis zur Kirchhofspforte,
wo wir standen, sind's nur wenige Schritte — es war gar keine Zeit zu großen Verabredungen,
die denn auch, wie ich schon einmal sagte, nicht stattgefunden Haben."
„Weiter, Herr Flausenfactor!"
„Herr Bürgermeister, beschimpfen Sie mich nicht!"
„Nehmt, was Ihr verdient habt. Weiter."
„Ich weiß eigentlich nichts weiter, Mynheer! Ich kann's felbst nicht mehr sagen, durch welche
Redewendung Lukas Mangolden zu dem Ausrufe kam: daß er sofort fünftausend Gulden zahlen
würde, wenn ich von Fräulein Gescha einen Kuß frei und offen auf der Straße erhalten könne!
Er wollte nichts Anderes sagen, als daß das, was er meinte, eine Unmöglichkeit sei."
Der Bürgermeister schrieb nieder, was Pieter aussagte.
„Weiter!" befahl er.
„Plötzlich durchfuhr mir's de-n Sinn: wenn das Fräulein wüßte, daß sie durch einen Kuß mir
fünftausend Gulden zuwenden kann, daß sie in einem Augenblicke meine arme Mutter und mich und
er die Eintretenden mustern konnte. Der gestrenge Herr wandte sich nicht um, sondern schrieb mit
finsterer Miene; sah scharf in den Spiegel und schrieb weiter, Slingeland stand wie aus Kohlen.
Sein einziger Trost war ein Bild seines Meisters Dow, das dicht neben dem Spiegel hing. Es
waren zwei Raucher, die Mangolden mit zweitausend Gulden für jeden Raucher bezahlt Hatte.
Der Bürgermeister drehte sich sammt dem Obertheile seines Sessels um. Seine buschigen,
weißen Augenbrauen verbargen fast die stechenden grauen Sterne. Das hochgeröthete Gesicht hatte
etwas Bullenbeißermäßiges.
„Also Ihr seid der lockere Bogel, der sich einen Spaß daraus macht, den guten Ruf ehrsamer
Jungfrauen zu vernichten"; fing der alte Herr an. „Schweigt, bis ich Euch frage! Wäre hier nicht
von meiner Tochter, sondern von einem andern unbescholtenen Mädchen die Rede, so kann ich sagen,
daß ich Euch bis zu ausgemachter Sache in den Bürgergewahrsam stecken ließe und wäre dies Jahr
und Tag. Da aber meine Tochter als die Beschimpfte und Beleidigte erscheint, so halte ich es für
meine Pflicht — zunächst gegen mich selbst — mit äußerster Milde vorzugehen und erst dann zu Här-
teren Mitteln zu greifen, wenn Güte nichts verfangen will . .. Wer war bei der Scene auf dem
!Kirchhofe außer den Malern Netscher, Mieris, Schalken und dem Gewürzhändler Lukas van Man-
golden zugegen?"
„Es versammelten sich allerdings einige Zuschauer" ... sagte Slingeland leise.
„Sehr viele! Ich will wissen, wer mit Euch im Complot gewesen ist; wer nähern oder
entferntern Antheil an Eurem nichtswürdigen Streiche gehabt hat .. ."
„Mynheer, es hat durchaus keine Verabredung bestanden. Mangolden gab mir ein Bouquet
mit dem Wunsche, daß ich dasselbe Jeoffrouw Gescha van Mangolden überreichen sollte .. ."
„Ah, das war das Mittel, um Gescha zu veranlassen still zu stehen. Ihr hättet ja sonst Eure
Flausen nicht anbringen können ... Leugnet Ihr, daß eine Verabredung bestand, meine Tochter zu
veranlassen, Euch, einen ihr außerdem ganz Unbekannten, auf offener Straße zu küssen?"
„Mynheer, Mangolden und ich und auch meine Collegen waren allerdings im Gespräch; aber
das betras nicht Gescha van Mangolden. Unsere Aufmerksamkeit ward erst dann erregt, als die
Dame mit ihrer Begleiterin draußen vor der Kirche erschien. Von dort bis zur Kirchhofspforte,
wo wir standen, sind's nur wenige Schritte — es war gar keine Zeit zu großen Verabredungen,
die denn auch, wie ich schon einmal sagte, nicht stattgefunden Haben."
„Weiter, Herr Flausenfactor!"
„Herr Bürgermeister, beschimpfen Sie mich nicht!"
„Nehmt, was Ihr verdient habt. Weiter."
„Ich weiß eigentlich nichts weiter, Mynheer! Ich kann's felbst nicht mehr sagen, durch welche
Redewendung Lukas Mangolden zu dem Ausrufe kam: daß er sofort fünftausend Gulden zahlen
würde, wenn ich von Fräulein Gescha einen Kuß frei und offen auf der Straße erhalten könne!
Er wollte nichts Anderes sagen, als daß das, was er meinte, eine Unmöglichkeit sei."
Der Bürgermeister schrieb nieder, was Pieter aussagte.
„Weiter!" befahl er.
„Plötzlich durchfuhr mir's de-n Sinn: wenn das Fräulein wüßte, daß sie durch einen Kuß mir
fünftausend Gulden zuwenden kann, daß sie in einem Augenblicke meine arme Mutter und mich und