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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0261
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Künstler-Biographien. 29
lichen Reiz der Wirkung erzielt er dadurch, daß er, ganz wie in den Fresken, die Figuren so zeigt,
wie sich wirkliche Personen, vom Augenpunkte des Beschauers her, an der bestimmten Stelle aus-
nehmen würden. Dazu bietet er alle Mittel, die Herrschaft über die Perspective, die immer wie-
derkehrenden Verkürzungen aus, zu denen eine unvergleichliche Meisterschaft der Zeichnung und
Kenntniß der Form ihn befähigt. Hierdurch allein aber ließen sich solche Wirkungen nicht erreichen.
Luft- und Lichteffect kommen hinzu, welche im Oelbild noch zu einer ganz andern Rolle als bei der
Freskomalerei berufen find. Was bei Correggio namentlich überrascht, ist die Existenz der Figuren
im Raum. Die Gestalten erscheinen rund, sie lösen sich, die Verschiedenheiten in der Erscheinung
des Nähern und des Fernern, wie sie durch die umgebende Luft entstehen, sind in unerreichter
Feinheit beobachtet. Das Mittel, durch welches dies vorzugsweise gelingt, ist das sogenannte
Helldunkel, das Ineinander von Schatten und Licht, das auch die dunkelsten Partien noch farbig
hält und den Uebergang zur vollen Helligkeit durch die feinsten Nuancen von Halbschatten und
Reflexen herstellt. Auch dies hängt mit dem Streben nach Rei; und nach Bewegtheit zusammen,
die höchste Farbengluth, der goldigste Lichtglanz, wenn er gleichmäßig über das Ganze ausgegossen
ist, wie bei den Bildern der Venetianer, bringt den Eindruck majestätischer Ruhe Hervor. Erst
dieses „Chiaroscuro", das wechselnde Spiel von Licht und Schatten, schmeichelt dem Sinn und
macht die Wirkung des Bewegten.
Zu den früheren Oelbildern dieser Epoche gehören namentlich ein paar Biadonnenbilder rein
idyllischen Eharakters, so jene Jungfrau in Neapel, die man des phantastischen Kopfputzes halber
„La Zingarella", die Zigeunerin, nennt; sie sitzt in südlicher Waldlandschaft und neigt sich über
das eingeschlafene Kind in ihrem Schooße. Ebenso originell ist das Bildchen in der National-
galerie zu London, das wegen eines Korbes neben der Hauptfigur den Beinamen „Unäonnn
äelin a68tu" oder „Vierte au panier" erhalten hat. Zart und duftig wie die Farbe dieses Kleinods
ist das ganze Motiv. Wer denkt noch an die Heilige? wir sehen nur Mutter und Kind. Dieses
sitzt in köstlicher Wahrheit der Bewegung auf ihrem Schooße, die Mutter sucht das unruhige
an beiden Händchen zu fassen, und blickt mit dem harmlosen Lächeln der Mutterfreude auf das
Kleine herab. Hier kann man das bewundern, was schon im sechzehnten Jahrhundert bei Correggio
ganz besonders angestaunt wurde, die leichte, unvergleichlich natürliche Behandlung des Haars.
Ein etwas größeres Gemälde in der Galerie zu Parma schließt sich diesen Idyllen an, die „Ma-
donna della Scodella", d. H. mit dem Näpfchen, fo genannt von dem Gesäße, welches die sitzende
Jungfrau in der Hand hat. Es ist eine Ruhe der heiligen Familie auf der Flucht. In einer
Waldgegend, die erkennen läßt, daß Correggio auch einer der ersten Landschaftsmaler ist, Haben die
Wandernden ein trauliches Plätzchen zur Rast gefunden. Zahlreiche Engel haben sich ihnen beige-
fellt, einer schöpft dienstfertig Wasser, ein zweiter bindet den Esel fest, andere fchweben in der Höhe
und beugen die Palmenzweige nieder, von denen Joseph Datteln für den Knaben pflückt. Glücklich
lächelnd, mit Augen, die in Seligkeit schwimmen, blickt die Mutter auf das Kind, und in lieblichem
Lächeln schaut auch wieder das Kind, das nach ihrer Hand greift, auf den Beschauer, als wollte
es ihn in diese Stimmung mit hineinzieheu.
In derselben Galerie, wie jenes Bild ursprünglich auch für eine Kirche in Parma gemalt,
Hängt die „Madonna des heiligen Hieronymus". Wenn irgendwo, so ist hier die religiöse
Darstellung ganz von irdischer Lust durchdrungen, aller kirchliche Stil in der Gruppirung des

Deutschlands Kunstschätze. II.

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