40 Künstler-Biographien.
zweifelhafte Gleichgewicht des Rausches dargestellt; und während die ideale Göttlichkeit, welche die
Antike ihrem Bacchus stets zu erhalten weiß, hier anfgegeben ist, spricht sich doch eine höhere
Existenz in diesen Formen aus, und die Schilderung ist eben so weit von trivialer Natürlichkeit frei.
Die Statue ist iu deu Uffizien erhalten, ebenso im Kensingtonmuseum zu London die lebensgroße
Marmorfigur des Cupido, die Michelangelo für denselben Kunstfreund ausführte, eins der reiz-
vollsten Werke, die je geschaffen worden. Knieend und aus den rechten Arm gestützt scheint der
jugendliche Gott aufmerksam vor sich in die Tiefe hinabzuschauen, während der erhobene linke Arm
im Linienspiel wie im Ausdruck in interessantem Gegensatz zu der zusammengedrückteu rechten Kör-
perseite steht.
Im Jahre 1499 endlich führte Michelangelo im Auftrage des Cardinals von St. Denis,
eines Franzosen, jenes wunderbare Hauptwerk nicht nur seiner, sondern der gesammten Renais-
sancekunst ^aus, durch das er mit einem Schlage aus einem geachteten Künstler zum berühmtesten
Bildhauer Italiens ward. Die Pietä, die trauernde Maria mit dem todten Sohne im Schooße,
in einer Seitenkapelle zu St. Peter in Rom fast unsichtbar anfgestellt. Dieses Wunderwerk ist ein
großes Denkmal, das Michelangelo seinem Schmerz gesetzt über den kläglichen Untergang des Sa-
vonarola. Am 23. Mai 1498 hatten es die Verfolgungen der Hierarchie und seine eigenen Miß-
griffe so weit gebracht, daß er den Flammentod erlitt. Michelangelo hatte den sittlich hohen Sinn
des feurigen Reformators bewundert; jetzt im tiefsten Schmerz um das Unterliegen eines edlen Vor-
kämpfers bildete er die Darstellung der gewaltigsten Trauer iu demselben Sinne, die je ein Men-
schenherz durchzogen. Er hat in der großartigsten, erschütterndsten Weise seine Empfindungen und
Gefühle in dem unsterblichen Werke ausgelebt. Mag man den Aufbau der Gruppe im Ganzen
oder die Darstellung im Einzelnen studiren, mag man auf prägnaute Köpfe oder aus großartige
Gewandmotive achten, mag man die Formen an sich oder den Ausdruck iu ihnen betrachten, Eines ist
so vollendet wie das Andere. Ein Geist belebt das Ganze, ein Geist der größten sittlichen Kraft,
ein Geist des höchsten künstlerischen Strebens, ein Geist genialer Schöpferkraft, die nirgends rechnet,
und der sich's nicht nachrechnen läßt. So etwas entsteht einmal, und dann ist es allgültig für
Ewigkeiten.
Michelangelos Pieta trat als plastisches Seitenstück neben Lionardo's im Vorjahre vollen-
detes Abendmahl, beide „die ersten völlig erschlossenen Blüthen der freigewordeneu Kunst". Michel-
angelo war wenig über vierundzwanzig Jahre alt. Lionardo zählte bei Abschluß seines Haupt-
werkes beinahe das Doppelte. Und wo ist der kühnere bahnstrebende Sinn, die titanischere Kraft
ein Jahrhundert auf die Schultern zu nehmen? Unzweifelhaft bei dem jüngeren Meister!
So stellte er sich der Vaterstadt vor: Gegen 1500 war er wieder in Florenz. Mit Ueber-
gehung aller minder wichtigen Austräge können hier nur die hauptsächlichsten Schöpfungen erwähnt
werden. Ihrer schon sind mehr als genug für den knapp bemessenen Rahmen dieser Betrachtung.
Das Gewitter der religiös-politischen Unruhen hatte sich verzogen, ebenso war der düstere
Wolkenschleier wieder zerrissen, der sich über Michelangelos Seele gelagert Hatte. So klang denn
nun die düstere Anfsaffung in der Pieta in die glanzvoll klare der reizenden halblebensgroßen
Madonna mit dem Kinde in Marmor, auf einem Altar in Notre Dame zu Brügge, aus. Sie
war von flandrischen Kaufleuten, den Moscheroni (Moscrons, ein Mitglied der Familie liegt vor
dem Altäre begraben) für Hundert Ducaten gekauft und in ihre Heimat geschickt worden. Der
zweifelhafte Gleichgewicht des Rausches dargestellt; und während die ideale Göttlichkeit, welche die
Antike ihrem Bacchus stets zu erhalten weiß, hier anfgegeben ist, spricht sich doch eine höhere
Existenz in diesen Formen aus, und die Schilderung ist eben so weit von trivialer Natürlichkeit frei.
Die Statue ist iu deu Uffizien erhalten, ebenso im Kensingtonmuseum zu London die lebensgroße
Marmorfigur des Cupido, die Michelangelo für denselben Kunstfreund ausführte, eins der reiz-
vollsten Werke, die je geschaffen worden. Knieend und aus den rechten Arm gestützt scheint der
jugendliche Gott aufmerksam vor sich in die Tiefe hinabzuschauen, während der erhobene linke Arm
im Linienspiel wie im Ausdruck in interessantem Gegensatz zu der zusammengedrückteu rechten Kör-
perseite steht.
Im Jahre 1499 endlich führte Michelangelo im Auftrage des Cardinals von St. Denis,
eines Franzosen, jenes wunderbare Hauptwerk nicht nur seiner, sondern der gesammten Renais-
sancekunst ^aus, durch das er mit einem Schlage aus einem geachteten Künstler zum berühmtesten
Bildhauer Italiens ward. Die Pietä, die trauernde Maria mit dem todten Sohne im Schooße,
in einer Seitenkapelle zu St. Peter in Rom fast unsichtbar anfgestellt. Dieses Wunderwerk ist ein
großes Denkmal, das Michelangelo seinem Schmerz gesetzt über den kläglichen Untergang des Sa-
vonarola. Am 23. Mai 1498 hatten es die Verfolgungen der Hierarchie und seine eigenen Miß-
griffe so weit gebracht, daß er den Flammentod erlitt. Michelangelo hatte den sittlich hohen Sinn
des feurigen Reformators bewundert; jetzt im tiefsten Schmerz um das Unterliegen eines edlen Vor-
kämpfers bildete er die Darstellung der gewaltigsten Trauer iu demselben Sinne, die je ein Men-
schenherz durchzogen. Er hat in der großartigsten, erschütterndsten Weise seine Empfindungen und
Gefühle in dem unsterblichen Werke ausgelebt. Mag man den Aufbau der Gruppe im Ganzen
oder die Darstellung im Einzelnen studiren, mag man auf prägnaute Köpfe oder aus großartige
Gewandmotive achten, mag man die Formen an sich oder den Ausdruck iu ihnen betrachten, Eines ist
so vollendet wie das Andere. Ein Geist belebt das Ganze, ein Geist der größten sittlichen Kraft,
ein Geist des höchsten künstlerischen Strebens, ein Geist genialer Schöpferkraft, die nirgends rechnet,
und der sich's nicht nachrechnen läßt. So etwas entsteht einmal, und dann ist es allgültig für
Ewigkeiten.
Michelangelos Pieta trat als plastisches Seitenstück neben Lionardo's im Vorjahre vollen-
detes Abendmahl, beide „die ersten völlig erschlossenen Blüthen der freigewordeneu Kunst". Michel-
angelo war wenig über vierundzwanzig Jahre alt. Lionardo zählte bei Abschluß seines Haupt-
werkes beinahe das Doppelte. Und wo ist der kühnere bahnstrebende Sinn, die titanischere Kraft
ein Jahrhundert auf die Schultern zu nehmen? Unzweifelhaft bei dem jüngeren Meister!
So stellte er sich der Vaterstadt vor: Gegen 1500 war er wieder in Florenz. Mit Ueber-
gehung aller minder wichtigen Austräge können hier nur die hauptsächlichsten Schöpfungen erwähnt
werden. Ihrer schon sind mehr als genug für den knapp bemessenen Rahmen dieser Betrachtung.
Das Gewitter der religiös-politischen Unruhen hatte sich verzogen, ebenso war der düstere
Wolkenschleier wieder zerrissen, der sich über Michelangelos Seele gelagert Hatte. So klang denn
nun die düstere Anfsaffung in der Pieta in die glanzvoll klare der reizenden halblebensgroßen
Madonna mit dem Kinde in Marmor, auf einem Altar in Notre Dame zu Brügge, aus. Sie
war von flandrischen Kaufleuten, den Moscheroni (Moscrons, ein Mitglied der Familie liegt vor
dem Altäre begraben) für Hundert Ducaten gekauft und in ihre Heimat geschickt worden. Der