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Felder, Ekkehard [Editor]; Bär, Jochen A. [Editor]; Universitäts-Gesellschaft <Heidelberg> [Editor]
Heidelberger Jahrbücher: Sprache — Berlin, Heidelberg, 53.2009

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Kilian, Jörg: "Wie muß das heißen?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.11275#0152
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„Wie mufi das heissen ?"

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dem Akkusativ (z.B. „bei die Fliege");9 andererseits gibt es Variationen der
Wortstellung, die schlieBlich den Bereich der Oralitat uberschreiten und auch
in der geschriebenen Hochsprache akzeptiert wurden (vgl. z.B. die Zweitstel-
lung des finiten Verbs im Relativsatz, wie z. B. in der Aufierung „Am Fenster
kriecht eine grofte Fliege, die soli ich dem Kinde zeigen"; Salzmann 1796: 384;
Hervorhebung von mir, J. K.).

Wie die gesprochene Sprache und Elemente der mittleren Ebene des Ge-
sprachs, so unterliegen schliefilich auch die Gesprachssorten und unterliegt
das Repertoire der Gesprachssorten eines Gesprachstyps selbst der histori-
schen Veranderung und, langfristig, dem Wandel. Das katechetische Gesprach
etwa, in der friihen Neuzeit auch als „Verh6ren" benannt, gibt es in der deut-
schen Gegenwartssprache allenfalls noch im Zusammenhang mit dem Voka-
belabhoren,nicht aber als padagogisch und didaktisch sanktionierte Form des
Lehrgesprachs.

Wenn der Dialog - vornehmlich als Gesprach, aber auch als Korrespondenz
- in unmittelbarem Sinn Ursache, Mittel, Ort und zugleich auch Gegenstand
des Sprachwandels ist, und wenn der Begriff der „Dialogsorte" als linguis-
tische Klammer Sprachgeschichte und Sozialgeschichte zusammenzubinden
erlaubt, miisste die historische Dialogforschung auch „Einsicht in den Kausal-
zusammenhang des Geschehens" (Paul 1920:15) eroffnen und im Rahmen der
Empirie zu Erklarungen des Sprachwandels ohne Zuhilfenahme einer „Black
box" oder einer „unsichtbaren Hand" vordringen konnen. Die nachfolgenden
Ausfuhrungen sollen dieser Anforderung am Beispiel des Sprachenwechsels
im schulischen Lehrgesprach nachgehen. Zu diesem Zweck werden zunachst
die sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen des Sprachenwechsels von der
Mundart zum Hochdeutschen am Ende des 18. Jahrhunderts in den Blick ge-
nommen, bevor konkrete Beispiele fur den Dialog als Ursache, Mittel und Ort
dieses Sprachwandels zusammengetragen werden.

3. Hochdeutsch als „Lehr- und Befehlssprache" - und als Sprache
des Unterrichtsgesprachs im 18. Jahrhundert

Die institutionelle Neuordnung des Schulwesens - wichtige Stichworter sind
die Verstaatlichung der Institution Schule und die Einfuhrung der allgemei-
nen Schulpflicht -, die Einfuhrung neuer Lehr-Lern-Gegenstande und die
Erkundung neuer Methoden der Menschenbildung und Menschenfiihrung
sind die Saulen der Geschichte des Kommunikationsbereichs der Lehre im
17. und 18. Jahrhundert, und was die neuen Methoden anbelangt, spielte das
Lehrgesprach eine immer bedeutendere Rolle. Gewiss, diese Neuerungen stie-
fien keineswegs iiberall auf Zustimmung. Es gab kritische bis gar argwoh-
nische Einwande, und sowohl vor wie nach 1789 gab es den Verdacht, dass

9 Vgl. Salzmann 1796: 384 und dazu Adelung 1793-1801, Bd. 1,1793: Sp. 977 (s.v. Bey).
 
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