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den treueſter Spiegel dee Seele. Aller Ausdruck, wel-

chen, nach unſerer Meinung, die anderen Theile des
Antlitzes haben ſollen, iſt ja doch nur ein Wiederſchein

des Ausdrucks, den das Auge hat; er iſt Nichts als

ein leerer Schein, wenn er nicht durch den belebenden
Glanz des Auges zur gehörigen Bedentſamkeit erhoben
wird. Welche Wichtigkeit ſich Einer auch durch Mie-
nen und Geberden zu geben verſuche, er gilt Andern
doch nicht für wichtig, wenn nicht aus ſeinem Auge
eine höhere, edlere Natur hervorleuchtet. Die Stirn
ſei noch ſo herrlich gebaut, denkend erſcheint fie uns
doch nur durch das denkende Auge. Man mag das

Antlitz noch ſo ruhig zuſammenlegen, die wahre See-

lenruhe wird doch nur durch das Auge beſtätigt. Wer
auch noch ſo geſchickt Aufrichtigkeit zu erheucheln meint,
das treue Auge verräth gewiß den Schalk. Du kannſt
Dich mit Gewalt zum Lachen zwingen, aber das künſt-
lich verzogene Geſicht iſt doch nur eine Grimaſſe, eben
weil das Auge ſeine Zuſtimmung verſagt, weil die
Seele nicht dabei aus den Augen lächelt.
Mund wird doch nur wahrhaft ſchön und lieblich durch
ein Auge, aus welchem eine ſchöne Seele blickt; und
wie beredſam auch die Lippen gebildet ſein mögen; un-

ſere Erwartungen von ihnen werden gewiß ſehr gering

ſein, ſo lange ſich nicht in dem Auge die ſchöne Gabe
einer holdſeligen Rede zu erkennen geben will. ö
Die ſchaffende Kraft, die in einer Seele wohnt,

oder deren Impotenz, ihr Ernſt oder ihre Flüchtigkeit,

ihre Beharrlichkeit oder ihr Wankelmuth, ihr Scharf-
ſinn oder Stumpſinn, ihre Klarheit oder Verworrenheit
im Denken, die Liebe, von welcher ſie ganz erfüllt iſt,
oder die Kälte, in welcher ſie ſtarrt: wo wird Dies
deutlicher offenbar als in den Augen? Aber ſelbſt auf
die vorübergehenden Zuſtände, wie ſchnell ſie auch vor-
bei eilen mögen, deuten, gleich dem feinfühligſten Ther-
mometer, die Augen hin. Es kann durchaus nichts in
der Seele vorgehen, das ſie nicht getreulich berichteten.
Wir freuen uns, und ſiehe, die Freude glänzt uns aus
den Augen; wir zürnen, das Auge ſchleudert gleichſam
Blitze und die Augenbraunen ziehen ſich über ihm wie
ſchwere Donnerwolken zuſammen; wir werden wieder
ruhig, und die beſänftigte Seele tritt freundlich wie
die Sonne nach dem Ungewitter in den Augen hervor.
Selbſt die flüchtigſten und leiſeſten Gefühle, welche die
Seele gleichſam nur oberflächlich zu berühren oder doch
nur augenblicklich zu durchblitzen ſcheinen, ſelbſt dieſe,
und ob ſie auch der ganze äußere Menſch verleugnet,
können doch nicht in den Augen verleugnet werden.
In ſo treuem Bunde ſteht das Auge mit der Seele,
daß es ſogar in ſeinen Bewegungen derſelben zu ent-
ſprechen ſucht. Beim Gefühle der Sehnſucht hebt ſich
das Auge, ſo wie die Seele aufwärts fliegen möchte,
zu anderen Regionen empor. Im Maniente des höch-
ſten Verlangens tritt es zurück un innt ſich zu
ſchließen; es ſcheint mit untergehen zu wöllen im Meere
himmliſcher Wonne, worein der ſelige Geiſti ſich gleich-
ſam verfenken möchte.

Ein ſchöner

Wberlente Das Auge richtet ſich auf gen
Himmel, wenn die Seele ſich flehend zu Gott erhebt;
es ſenkt ſich niederwärts zur Erde, wenn die gedemü-

thigte Seele, im Bewußtſein und Gefühle ihrer Schuld,

ſich beſchämt vor ihrem Schöpfer niederwirft. Ein aus-

weichendes Auge läßt uns leicht auf eine Seele ſchlie-
ßen, welche Urſache haben dürfte, den ſcharfen Blicken
And erer ſich zu entziehen; während ein ruhiges, offe-
nes Auge ein Herz andeutet, das ohne Falſch iſt und
nicht zu bangen braucht, wenn es von uns erkannt
wird. Das Auge des Verlegenen, der nicht weiß, was
er zu thun hat, weiß auch nicht, wohin es ſich wenden
ſoll. Im ſchärfſten Denken ſtarrt das Auge nach ei-
nem Punkte hin: ein Bild des Geiſtes, der ſinnend
auf einem Gegenſtande ruht, ihn zu ergründen und zu
durchſchanen. ö
Wenn die Seele, am Morgen erwachend, ſich der
Welt von Neuem öffnen will, ſo öffnet ſich das Auge
gleichermaßen; und wenn die Seele, der Tagesarbeit
müde, ſich am Abend in ſich ſelbſt verſchließt, ſo folgt
das treue Auge nach und ſchließt ſich, gleich der Seele,
zu. Und endlich, wenn die bange Scheideſtunde naht,
ſo hüllt das Auge, licht⸗ und glanzlos, zuerſt ſich in
tiefe Trauer ein; es ſcheint in jammervollſtem Schmerz
zu brechen, weil ſich die Freundin trennen will, mit
der es in ſo zärtlich treuem Bunde ſtand.
Männer des Geſchäftes, wenn ſie von einanderge-
hen, wollen ſich wieder ſprechen. „Wir ſprechen uns
morgen wieder!“ Liebende dagegen ſcheiden von ein-
ander mit der Hoffnung eines baldigen Wiederſehens.
Warum nicht ebenſo des Wiederſprechens? Weil die
Sprache viel zu arm und zu ſchwach iſt, die ſeligen
Gefühle auszudrücken, welche Jedes in des Anderen
Augen lieſt; weil ſich zwei liebende Seelen am liebſten
da erkennen und wiederfinden wollen, wo ſie zuerſt ſich
fanden und erkannten, nämlich in den Augen; weil
Jedes in dem Auge des Andern am innigſten die Liebe
zu ſehen und zu empfinden hofft, mit welcher die See⸗—
len einander umpfangen. ö
Auch bei der letzten Trennung von den geliebten
Seinen klammert ſich der Menſch an die Hoffnung des
Wiederſehens, des Wiederſehens in einer anderen Welt;
und das Auge, in welchem ſich hier ſchon eine Seele
der anderen ſo wunderbar enthüllt, läßt uns ahnen,
in welcher ungeahnten Herrlichkeit ſich erſt jenſeits eine
Seele gegen die andere verklären wird, wenn nun die
gröbere Hülle von uns abgeſunken iſt und ſich die Seele
ihres neuen himmliſchen Leibes freut. Wie ſie jetzt
blos das Auge durchſtrahlt, wird ſie alsdann ihren

ganzen Leib durchſtrahlen, und ſo iſt uns das zarte

Auge zugleich ein ſchönes Vorbild von der verklärten

Hülle, die unſere Seele dort umkieiden ſoll.

Die Bocharuclerei von G. Geisendörtor

in Heidelberg Gciſaafe .

empfichlt sich in allen in dieses Geschüft einschlagenden

Arbeiten, namentlich im Druck von Visiten-, Verlobungs- und
Adress-Karten, Rechnungen, Circularen etc. ete.
 
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