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gen oder das, was er fühlte, zu verläugnen. Paul

dagegen verſtummte in ſolchen Fällen immer, ließ dem
Gegner das Feld und miſchte ſich in eine andere gleich ·
gültige Unterhaltung. — —1—
Paul war bei Bodo ganz heimiſch, die großen Ver;
hältniſſe desſelben, die ihn erſt überraſcht und verwirrt
hatten, erſchienen ihm jetzt faſt als nothwendiges Le-
bensbedürfniß. Es ſtand feſt bei ihm, daß er einſt
daſſelbe haben würde, haben müßte, als Bodo. Neid
war indeſſen ſeiner Seele ganz fremd — er fühlte ſich
wohl in Bodo's Nähe, in ſeinem Hauſe, es war ihm
als gehörte ihm das Alles mit, was dem Freunde ge-

hörte. — Die Zeit würde ja kommen, wo er ihm
Gleiches würde bieten können, jetzt hatte er es nicht —
er entbehrte es vielleicht, — aber er wußte ſich ſehr

gut darin zu finden. Bodo in ſeiner großmüthigen
Freundſchaft war außerdem ſtets bemüht, in Paul eine
neidvolle Empfindung über die Verſchiedenheit ihrer
Verhältniſſe nicht aufkommen zu laſſen. Seine Mut-
ter, die ſich freute, daß ihr Bodo, der ſtets viele Be-
kaunte, aber wenig näherſtehende Freunde gehabt, jetzt
wirklich einen Freund gefunden hatte, ſtand ihrem Sohn
mit dem ihr eigenen feinen Takt bei, es Paul in
ihrem Hauſe heimiſch zu machen. Paul war täglich
bei Bodo, und wenn dieſer es ihm anbot, ganz bei
ihm zu wohnen, geſchah das nur aus Rückſicht, ihm
das Gefühl der Verpflichtung gegen ihn nicht zu be-
merkbar zu machen. So groß die Liebe Bodo's zu
Paul aber auch war, ſo traten doch nach längerer Be-
kanntſchaft Differenzen zwiſchen den beiden Freunden
zu Tage, die zwar ſtets wieder gelöſt wurden, aber ab
und zu doch einen trüben Nachklang zurückließen. Die
Verſchiedenheit der Charaktere war zu groß, ihre An-
ſichten über Welt und Menſchen nach Lebensſtellung
und Erfahrnng oft ſo entgegengeſetzt, daß ein Zuſam-
menſtos der Meinungen unvermeidlich war. Bodo
konnte bei ſolchem Streit ſehr heftig und in ſeiner
Leidenſchaſtlichkeit wohl auch zuweilen verletzend wer-
den. Paul dagegen, obwohl innerlich vielleicht eben ſo
erregt, wie Bodo, bewahrte äußerlich ſtets eine gewiſſe
Ruhe, die ihm ſchließlih ein Uebergewicht über den
Freund gab, dem dieſer um ſo eher ſich unterwarf, da
Paul, ſelbſt wenn er der Beleidigte war, doch ſtets zu-
erſt die Hand zur Verſöhnung bot und nie etwas nach-
trug, was in der Heftigkeit geſprochen worden war.
Paul wußte nur zu gut, was er an Bodo beſaß, und
Herz und Ve ſtand wirkten in gleicher Weiſe, ihn vor
einer ernſtlichen Entzweiuung mit dem Freunde zu be-
wahren. Nach einer Seite ordnete ſich Paul indeſſen
vollſtändig Bodo unter, nämlich in Beziehüng auf ſei-
nen Verkehr mit Frauen. In dieſem Punkte folgte
er ganz der Leitung Bodo's, deſſen Erfahrung er ſich
gern zu Nutzen machte. Paul ahnte, daß Bodo's Ver-
gangenheit ein trauriges Geheimniß berge, aber Ge-
naues hatte er nicht darüber erfahren. Bodo ſchwieg
völlig über ſeine Vergangenheit und Paul war zu takt-

voll, um auch nur den Verſuch zu machen, ihm ſein

Geheimniß zu entlocken. Stunden tiefſter Schwermuth,

leidenſchaftlichen Schmerſes kamen von Zeit zu Zeit

über Bodo, die ihn für Jeden unzugänglich machten.
Paul, der manchmal Zeuge dieſer Stunden war, hielt
ſich in ſolchen Momenten ſtill zurück, ſeine Theilnahme
durch Ernſt zeigend; ohne ſie mit Worten aufzudrän-
gen. Bodo wußte ihm Dank dafür und zeigte vor ihm
offener ſeinen Schmerz, wie vor jedem Andern, ja ſelbſt,
wie vor ſeiner Mutter. Nur aus der ſchroffen, ja
verächtlichen Weiſe, mit der Bodo von den Frauen im
Allgemeinen ſprach, ahnte Paul, daß eine Frau ihn
bitter getäuſcht und verrathen haben müſſe — und
dann dachte er des herrlichen Mädchenkopfes, der ihn
ſchon im Bilde ſo wunderſam ergriffen und deſſen An-
blick Bodo ſeitdem ihm ſorgſam entzogen — ſollte in
ihm nicht der Grund ſeines Unglücks zu finden ſein?
Paul's eigene Erfahrungen bei den Frauen machten
ihn nur zu leicht empfänglich für die Anſichten Bodo's
über das weibliche Geſchlecht. Die Ideale, die der

junge Künſtler in der ſtillen Heimath ſich gepflanzt und

bewahrt, fielen bald vom Altare ſeines Herzens, und
wenn auch ſein Käthchen noch immer für ihn mit dem-
ſelben Zauber umgeben war, als früher, ſo begann
doch ſein Verſtand auch ſchon an ihr herumzumäkeln
— ihm ſchien es, als könnte das in ſo kleinen Ver-
hältniſſen erzogene Mädchen doch nicht mehr ſo ganz
ſeinen Auforderungen genügen — ihm ſchwebte jetzt
ein höheres Ideal der Weiblichkeit vor, er gedachte an
Jenny, die wie ein Stern unter allen Frauen, die er
hier kennen gelernt, hervorleuchtete, an ihr durchgei-ͤ
ſtigtes, klares Weſen, an ihr ernſtes Streben — was
war das anmuthige, liebliche Schulmeiſterskind gegen
dies hochgebildete, edle Mädchen, vor derem Geiſt und
treffenden Bemerkungen er ſich oft. beſchämt beugen
mußte. Ja, wenn ſie ſo werden könnte, wie Jenny
— aber Käthchens Erziehung in dem kleinen Ort war
ja nur eine ſehr mangelhafte geweſen. Wie ſah er
das jetzt aus ihren Briefen, die viel Liebes und tiefes
Empfinden — aber einen ſo kleinen beſchränkten Ge-
ſichtskreis verriethen, daß er faſt unangenehm dadurch
berührt wurde. Einſt ſtand feſt in ihm, Käthchen
mußte ſich noch bilden, ehe er ſie zu ſeiner Gattin
machen konnte. So wie ſie war, paßte ſie in die Ver-
hältniſſe ſeines Lebens nicht — aber ſie zu ſich empor
zu heben, ſie geiſtig an ſich heranzuziehen, das ſchien
ihm eine ſchöne, köſtliche Aufgabe zu ſein, die zu er-
füllen ihm ſüß und angenehm deuchte. Käthchen war
ſo ſehr mit ſeinen Jugenderinnerungen verwachſen, er

fühlte ſich geiſtig ſo eins mit ihr, daß es ihm ein

leichtes ſchien, ſie ſeinen Gedanken, ſeinen neuerworbe-
nen Anſchauungen und Wünſchen anzupaſſen; Bodo
ſchüttelte manchmal, wenn Paul ihm ſeine Hoffnungen
uno Wünſche in Beziehung auf Käthchen ausſprach,

ungläubig den Kopf, aber er hütete ſich wohl, ſeinen

Zweifeln Worte zu geben.
ö (Fortſetzung folgt.)
 
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